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Einführung in die Linguistik

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7.3. SPRECHAKTTHEORIE UND ILLOKUTIONSSEMANTIK 155<br />

befehlen, etwas zu tun s<strong>in</strong>d beides Arten, jemanden dazu auffzufordern, etwas zu<br />

tun. Man könnte e<strong>in</strong>e Liste aller Sprechakte, <strong>die</strong> man f<strong>in</strong>det, zusammenstellen,<br />

und dann <strong>die</strong> Sprechakte nach gewissen Kriterien <strong>in</strong> Klassen zusammenfassen.<br />

Dabei könnte man sich aber nie sicher se<strong>in</strong>, dass man schon alle Sprechakte<br />

erfasst bzw. <strong>die</strong> wahren Hauptarten von Sprechakten gefunden hat. E<strong>in</strong>e andere<br />

Möglichkeit, e<strong>in</strong>e Klassifikation der Sprechakte zu bekommen, besteht dar<strong>in</strong>,<br />

Sprechakte a priori zu erforschen, d.h. über Sprechakte ohne Beachtung tatsächlich<br />

<strong>in</strong> (den Sprachen) der Welt vorkommender Phänomene nachzudenken. Im<br />

Folgenden werden wir Searles A-priori-Klassifikation der Sprechakte betrachten<br />

(vgl. dazu [53]).<br />

Def<strong>in</strong>ition 407 a priori. Vor jeder Erfahrung. E<strong>in</strong>e Erkenntnis heißt a<br />

priori, wenn man sie alle<strong>in</strong> durch Nachdenken, d.h. ohne s<strong>in</strong>nliche Erfahrungen<br />

machen (“<strong>in</strong> der Welt nachschauen”) zu müssen, haben kann. 2 Beispiele für Erkenntnisse<br />

a priori: Man sieht <strong>die</strong> Wahrheit von Tautologien und <strong>die</strong> Falschheit<br />

von Kontradiktionen a priori e<strong>in</strong>. Alle Erkenntnisse der Mathematik und Logik<br />

s<strong>in</strong>d Erkenntnisse a priori. (Dass m · n = n · m kann man nicht durch e<strong>in</strong><br />

empirisches Experiment beweisen.)<br />

Def<strong>in</strong>ition 408 a posteriori. Nach Erfahrung. E<strong>in</strong>e Erkenntnis heißt<br />

a posteriori, wenn man sie nicht ohne s<strong>in</strong>nliche Erfahrungen zu machen haben<br />

kann. Beispiele für Erkenntnisse a posteriori: Alle im engeren S<strong>in</strong>n wissenschaftlichen<br />

(d.h. nicht-mathematischen und nicht-philosophischen) Erkenntnisse s<strong>in</strong>d<br />

Erkenntnisse a posteriori. Synonym: empirisch. 3<br />

Searles Typologie der Sprechakte liegt folgender Gedanke zugrunde: Für<br />

verschiedene Sprechakttypen gibt es verschiedene Arten des “Gel<strong>in</strong>gens”. E<strong>in</strong>e<br />

Behauptung .(p) “gel<strong>in</strong>gt”, wenn sie wahr ist, das heißt, wenn <strong>die</strong> Welt so ist,<br />

wie p sie beschreibt. E<strong>in</strong> Befehl !(p) gel<strong>in</strong>gt, wenn <strong>die</strong> Welt sich so ändert,<br />

dass p wahr wird. Im ersten Fall müssen also, damit der Sprechakt gel<strong>in</strong>gt,<br />

<strong>die</strong> Wörter der Welt angepasst werden. Im zweiten Fall muss <strong>die</strong> Welt den<br />

Wörtern angepasst werden. Die beiden Sprechakttypen unterscheiden sich also<br />

sozusagen <strong>in</strong> ihrer “Anpassungsrichtung”oder, wie Searle sagt, <strong>in</strong> ihrer direction<br />

of fit. Searle erläutert <strong>die</strong>sen Begriff durch folgende von G. E. M. Anscombe<br />

erfundene Geschichte:<br />

Suppose a man goes to the supermarket with a shopp<strong>in</strong>g list given him<br />

by his wife on which are written the words “beans, butter, bacon, and<br />

bread”. Suppose as he goes around with his shopp<strong>in</strong>g cart select<strong>in</strong>g<br />

these items, he is followed by a detective who writes down everyth<strong>in</strong>g<br />

he takes. As they emerge from the store both shopper anddetective<br />

2 Tatsächlich s<strong>in</strong>d apriorische Erkenntnisse sogar solche, <strong>die</strong> man nur auf nichtempirischem<br />

Weg e<strong>in</strong>sehen kann. Angenommen, ich möchte empirisch überprüfen, ob der Satz Alle Junggessellen<br />

s<strong>in</strong>d unverheiratet auch wirklich wahr ist. Dazu müsste ich zunächst aus der Menge<br />

aller Personen (oder Entitäten) <strong>die</strong> unverheirateten Männer (denn das ist <strong>die</strong> Bedeutung<br />

von Junggeselle) aussondern. Anschließend müsste ich bei jedem unverheirateten Mann noch<br />

“zusätzlich” überprüfen, ob er auch unverheiratet ist.<br />

3 Es gibt auch Philosophen, <strong>die</strong> der Ansicht s<strong>in</strong>d, dass es synthetische Sätze a priori gibt,<br />

das heißt, solche, <strong>die</strong> man zwar a priori e<strong>in</strong>sieht, <strong>die</strong> aber dennoch Behauptungen über <strong>die</strong><br />

s<strong>in</strong>nlich wahrnehmbare Welt machen. Wir können das aber vernachlässigen. Die meisten Leute,<br />

<strong>die</strong> heutzutage <strong>die</strong> Begriffe a priori und empirisch gebrauchen, würden <strong>die</strong>se als Synonyme<br />

bezeichnen.

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