Einführung in die Linguistik
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7.4. THEORIE DER KONTEXTABHÄNGIGKEIT VON BEDEUTUNGEN169<br />
Beispiele 106 Konversationelle Implikatur.<br />
a) A(ngestellter:) Me<strong>in</strong> Vertrag läuft nächsten Monat aus.<br />
B(oss): Dann schießen wir Sie auf den Mond.<br />
Da sich jeder denken kann, dass es viel zu teuer wäre, Angestellte auf den<br />
Mond zu schießen, wenn man sie nicht mehr braucht, und da jeder Sprecher<br />
anderen <strong>die</strong> Befolgung der Qualitätsmaxime unterstellt, ist klar, dass A B nicht<br />
wörtlich <strong>in</strong>terpretieren wird. Wie A jedoch B’s Äußerung <strong>in</strong>terpretieren wird,<br />
<strong>in</strong>sbesondere, ob er <strong>die</strong> Antwort im S<strong>in</strong>ne von “der Vertrag wird verlängert”oder<br />
im S<strong>in</strong>ne von “der Vertrag wird nicht verlängert” auffassen wird, hängt stark<br />
von den Umständen der Äußerung ab. (Macht B z.B. se<strong>in</strong>e Äußerung lächelnd<br />
oder gr<strong>in</strong>send?)<br />
b) (Beispiel aus [65]:) Herr Maier beherrscht se<strong>in</strong>e Muttersprache und hat<br />
me<strong>in</strong>e übungen regelmäßig besucht. (Gutachten für e<strong>in</strong>en Hochschulabsolven,<br />
Gesamttext).<br />
Nach der Quantitätsmaxime musste der Verfasser von b) über Maier möglichst<br />
alles, was h<strong>in</strong>sichtlich se<strong>in</strong>er Qualifikationen relevant ist, mitteilen. Indem<br />
er nur Selbstverständliches mitteilt, gibt er zu verstehen — implikiert er — dass<br />
Maier se<strong>in</strong>er Ansicht nach nicht viel taugt.<br />
c) Müller hat vier Söhne.<br />
Wer c) äußert, obwohl er weiß, dass Müller sechs Söhne hat, der würde nicht<br />
lügen. Wer (genau) sechs Söhne hat, der hat auch (m<strong>in</strong>destens) vier. Das heißt,<br />
man sagt mit c) nicht wörtlich, dass Müller genau vier Söhne hat. Doch wegen<br />
der Quantitätsmaxime implikiert man mit c), dass Müller genau vier Söhne hat.<br />
Generell gilt: Anzahlangaben werden im Zweifelsfall immer als Genau-Angaben<br />
und nicht als M<strong>in</strong>destens-Angaben <strong>in</strong>terpretiert.<br />
d) (Es hat gekl<strong>in</strong>gelt. Ihr Sohn Paul öffnet <strong>die</strong> Tür.)<br />
Mutter: “Wer ist es?” (Es ist der 22jährige Bruder von Paul.)<br />
Paul: ?? “E<strong>in</strong> junger Mann.”<br />
Pauls Antwort ist ke<strong>in</strong>esfalls unwahr. Doch er hat <strong>die</strong> Maxime der Quantität<br />
verletzt. Se<strong>in</strong>e Antwort implikiert unter anderem, dass nicht jemand gekommen<br />
ist, den er oder <strong>die</strong> Mutter näher kennen.<br />
e) (Beispiel aus [65]:) 11.07.92: Matrose Müller war heute nüchtern. (E<strong>in</strong>trag<br />
im Logbuch e<strong>in</strong>es Schiffes.)<br />
Die Tatsache, dass der Verfasser von e) den fraglichen Sachverhalt für erwähnenswert<br />
hält, lässt den Leser schließen, dass (laut Verfasser von e)) Müller sonst<br />
immer betrunken ist. Mit anderen Worten: Wegen der Maxime der Relevanz<br />
implikiert e) “Müller ist sonst immer betrunken.”