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George Orwell - 1984.pdf

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erloschen. Sogar für Winston war es offensichtlich, daß<br />

sie auf ein Ereignis gefaßt war, das nach ihrer Meinung<br />

unausweichlich kommen mußte. Sie tat alles Notwendige<br />

– kochte, wusch, nähte, machte die Betten, fegte den Fußboden,<br />

staubte den Kaminsims ab – immer sehr langsam<br />

und unter Vermeidung jeder überflüssigen Bewegung, wie<br />

eine zum Leben erwachte Gliederpuppe. Ihr großer wohlgestalteter<br />

Körper schien ganz natürlich in Ruhestellung<br />

zu fallen. Stundenlang saß sie beinahe regungslos auf dem<br />

Bett und streichelte seine kleine Schwester, ein winziges,<br />

kränkliches, sehr stilles Kind von zwei oder drei Jahren,<br />

mit einem vor Magerkeit affenähnlichen Gesicht. Nur<br />

manchmal schloß sie Winston in ihre Arme und preßte<br />

ihn lange Zeit wortlos an sich. Er merkte trotz seiner<br />

Jugend und seiner Selbstsucht, daß dies etwas mit dem<br />

nie ausgesprochenen Ereignis zu tun hatte, das früher<br />

oder später eintreten mußte.<br />

Er erinnerte sich an das Zimmer, in dem sie wohnten,<br />

einen dunklen, dumpfigen Raum, der zur Hälfte von einem<br />

Bett mit einer hellen Steppdecke ausgefüllt schien. In der<br />

Wandnische war ein Gaskocher und darüber ein Brett,<br />

auf dem Nahrungsmittel lagen, und draußen auf dem<br />

Flur gab es ein Ausgußbecken aus braunem Steingut, das<br />

mehrere Mieter gemeinsam benützten. Er sah noch den<br />

statuenhaften Körper seiner Mutter vor sich, wie er sich<br />

über den Kocher beugte, um etwas in einem Kochtopf<br />

umzurühren. Vor allem erinnerte er sich an seinen ständigen<br />

Hunger und die erbitterten selbstsüchtigen Kämpfe<br />

bei den Mahlzeiten. Er pflegte seine Mutter immer wieder<br />

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