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Schmalzstullen für Kuba<br />

Laut Kalender ist Pfingsten und laut Reederei-Order ladet MS JOHN BRINCKMAN in Leningrad<br />

Schmalzfässer. Sozialistische Hilfe zur Verpflegung der kubanischen Bevölkerung. Vier<br />

Kühlluken werden mit 3000 Tonnen Schweineschmalz in Fässern beladen, davon können<br />

sich die „Kubis“ etliche Schmalzstullen schmieren.<br />

Leningrad im Frühsommer ist ein Erlebnis. Die Seemannsbetreuung gibt sich wieder alle<br />

Mühe, uns die Schönheiten dieser geschichtsträchtigen Stadt näher zu bringen. Täglich rollt<br />

ein Bus vor die Gangway<br />

Der Interclub betreut in jedem Hafen der Sowjetunion jeden Seemann nahezu in seiner Muttersprache.<br />

Unsere Dolmetscherinnen haben Germanistik studiert, sprechen hervorragend<br />

deutsch und beschämen uns, mit ihren Kenntnissen der deutschen Geschichte. Dafür verdienen<br />

sie 70 Rubel im Monat.<br />

Die Mädels führen uns durch Peterhof, die Eremitage und die Isaac-Kathedrale. Neunzig<br />

Meter unter der Erde fahren wir Metro und begutachten die ungewöhnliche Marmor-Architektur<br />

der Station „Aftowo“. Hier liegen auf dem Bahnsteig rote Teppiche, aber keine Kippen,<br />

kein Papier-Schnipselchen beeinträchtigt die Sterilität, die von Kronleuchtern aus Kristallglas<br />

ins rechte Licht gesetzt wird.<br />

Im Kirow-Theater beeindruckt mich die jugendliche Liebhaberin des „Rigoletto“. Sie verfügt<br />

über einen gewaltigen Resonanzboden und schmettert ihre Arien in der klangvollen<br />

russischen Sprache zu uns herab, daß selbst hinter ihr noch die Kulissen wackeln.<br />

Nur die große Klappbrücke über die Newa macht sich unbeliebt. Spät abends ragt diese<br />

imposante Stahlkonstruktion in das fahle Licht der Leningrader Nacht. Wir aber müssen zum<br />

Hafen auf die andere Seite der Newa. Am Taxistand stehen in ordentlicher Schlange, nicht<br />

etwa die Taxis, sondern die potentiellen Fahrgäste. Etwa fünfzig Leute und etwa im Stundentakt<br />

kommt ein Taxi.<br />

Diese halten auch generell nur an den gekennzeichneten Haltestellen, das ist ihnen so vorgeschrieben.<br />

Wir bringen quer über die Straße aufgestellt eine zum Halten. Der Taxistand ist<br />

hundert Meter entfernt, eine Traube Leistungssportler rast Fäuste schwingend auf uns zu.<br />

Der Taxifahrer hat uns als Ausländer erkannt und mahnt <strong>bei</strong>m Einsteigen hektisch zur Eile:<br />

„Dawai, dawai“, mit noch offenen Türen quietscht der ‘Wolga’ davon.<br />

Der Mann ist deutschfreundlich, was ich nicht verstehen kann. Er hat in Weimar als Wehrpflichtiger<br />

gedient und fand alles ganz gut. Er bringt uns zum Hafen. Wir geben ihm jeder<br />

einen Rubel. Die Fahrt hätte 60 Kopeken gekostet.<br />

Nach fünf Tagen Beladung zotteln wir mit den Schmalzfässern los. Bestimmungshafen ist<br />

Santiago de Cuba. Das Nachbargrundstück von Santiago haben sich die Amerikaner unter<br />

den Nagel gerissen und dort ihren Stützpunkt Guantanamo etabliert. An deren Gartenzaun<br />

schippern wir nun als Blockadebrecher mit unserer Schmalzladung vor<strong>bei</strong>.<br />

Die dort gelangweilten „marins“ machen aus uns eine Übung, umschwirren unser Schiff mit<br />

ihren Kampfblechen, fragen per Morselampe laufend „what ship?“ und filmen uns,<br />

<strong>bei</strong>nebaumelnd aus der offenen Schiebetür ihrer Hubschrauber.<br />

Der kalte Krieg hat sein eigenes Flair.<br />

Vorn an unserem Bug steht in riesigen Lettern JOHN BRINCKMAN, am Heck quer steht für<br />

jedermann sichtbar der Heimathafen „Rostock“. An der Gaffel weht die DDR-Flagge. Aber<br />

jedes Kampfblech der Ammis fragt nun per Morselampe „WHAT SHIP?“<br />

Die Amis haben längst unseren Funkverkehr mitgehört und sind auf die spärlichen Informationen<br />

meiner Morselampe bestimmt nicht angewiesen.<br />

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