DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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Tod des Vaters männlich konnotierte Eigenschaften wie Mut und Entschlossenheit an den<br />
Tag.<br />
Rahel dagegen pflegt einen gänzlich anderen Zugang zu Statussymbolen. Sie bricht in<br />
diesem Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Konventionen der Biedermeierzeit, in der<br />
die stille Eleganz ebenso zu den bürgerlichen Tugenden zählte wie die Sparsamkeit. Mit ihrem<br />
spielerischen bis provokanten Verhalten, das die junge Jüdin im Umgang mit wertvollen<br />
Gegenständen an den Tag legt, überzeichnet Grillparzer zugleich das Stereotyp der „Putz- und<br />
Verschwendungssucht“, das Frauen der Biedermeierzeit gerne zugeschrieben wurde.<br />
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die außergewöhnliche ökonomische Positionierung<br />
<strong>für</strong> die Gestaltung der Figur der Rahel von wesentlicher Bedeutung ist. Bewusst<br />
irritiert Grillparzer sein Publikum mit der Darstellung einer jungen Frau, die frei von männlicher<br />
Kontrolle über ihren Reichtum verfügen kann, was den Konventionen der Biedermeierzeit<br />
diametral entgegensteht.<br />
Rahels ökonomische Basis ist zugleich ein Sinnbild <strong>für</strong> die Fülle an Emotionen, von<br />
denen sie sich leiten lässt. Ähnlich offen wie mit ihrem Schmuck und ihrem Geld geht Rahel<br />
auch mit ihren Gefühlen um: Bleibende materielle wie emotionale Werte haben <strong>für</strong> Rahel<br />
wenig Bedeutung: Sie lebt im Jetzt und ganz aus sich selbst. Doch es ist letztlich nicht Rahels<br />
wirtschaftliche Macht, die ihre Stilisierung zur Gefahr <strong>für</strong> das patriarchale Gesellschaftssystem<br />
begründet: Im Verlauf des Dramas rückt Grillparzer den ökonomischen Aspekt zugunsten<br />
ihrer unkontrollierbaren erotischen Weiblichkeit in den Hintergrund. Damit unterstreicht er,<br />
dass es zuallererst Rahels authentisch gelebtes Frausein ist, das auf die Vertreter der herrschenden<br />
Ordnung derart bedrohlich wirkt, dass die junge Jüdin sterben muss.<br />
3.3.5 Zusammenfassung: Rahel und das biedermeierliche Frauenbild<br />
Mit der Figur der Rahel entwirft Grillparzer eine Frauenfigur, die die gesellschaftlichen<br />
Konventionen der Biedermeierzeit in jedem nur möglichen Bereich sprengt. Schon die<br />
Tatsache, dass Grillparzer mit Rahel eine junge Jüdin, die möglicherweise gar ein uneheliches<br />
Kind ist, zur Hauptfigur eines Trauerspiels macht, weist auf das progressive Potenzial dieses<br />
Dramas hin. Mit ihrer wilden, rabenschwarzen Mähne entspricht Rahel auch äußerlich in keiner<br />
Weise dem typisierten Bild des schönen, süßen Biedermeiermädels. Ähnliche Irritationen<br />
erzeugt Grillparzer mit der ökonomischen Positionierung dieser Frauenfigur: Rahel verfügt<br />
über eigenes Vermögen jenseits jeder männlichen Kontrolle. Mit diesem Kapital geht sie<br />
willkürlich, spielerisch, mitunter verschwenderisch um – freilich nicht, ohne über den wahren<br />
Wert ihrer Besitztümer detailliert Bescheid zu wissen. Rahels unkonventionelle Einstellung zu<br />
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