DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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chale Gesellschaft stößt – denn außergewöhnliche, fremde Geliebte gab es am spanischen<br />
Königshof schon vor Rahel. Vielmehr ist es die von Rahel ausgehende subversive Kraft innerhalb<br />
der patriarchalen Gesellschaftsordnung, die sie schließlich das Leben kostet. Freilich<br />
verabsäumt Grillparzer es nicht, dieser Stilisierung Rahels zur Bedrohung der herrschenden<br />
Ordnung – wie sie Eleonore und Manrike vornehmen – eine gewisse Grundlage zu verleihen.<br />
Mit ihrem Verkleidungsspiel im Gartenhaus bringt Grillparzer Rahels Missachtung jeglicher<br />
gesellschaftlicher Konventionen zum Ausdruck. In einem Gartenhaus mitten im königlichen<br />
Anwesen krönt sich Rahel selbst zur Königin: „Da wählt sie eine Krone sich heraus […] /<br />
Und sagt sie sei die Königin“ (HKA, S. 503, V. 539 und V. 543). Was Grillparzer als Spiel<br />
getarnt hat, kann in emanzipatorischer Lesart durchaus als ein symbolisches Verlangen nach<br />
weiblicher Gleichberechtigung gedeutet werden.<br />
Doch die Gefährlichkeit der Beziehung zwischen Rahel und Alphons liegt in den Augen<br />
der Höflinge nicht nur in Rahels subversivem Verhalten, sondern auch in der Qualität und<br />
der Intensität dieser außerehelichen Verbindung. Trunken von der körperlichen Begegnung<br />
mit Rahel verlässt Alphons den königlichen Palast und vernachlässigt selbst angesichts eines<br />
drohenden Krieges die Regierungsgeschäfte. Lieber genießt er das süße Leben mit Rahel und<br />
schlittert dadurch in ein Abhängigkeitsverhältnis zu seiner Geliebten: „[…] Die Gewalt dieser<br />
unbewußten Entwicklung ist allem individuellen Denken und Tun übergeordnet, und was sich<br />
in ihm wirklich vollzog, entzieht sich den rationalen Begriffen der Moral und Sitte.“ 210 Doch<br />
Alphons unterschätzt den Druck seines Amtes innerhalb der christlich-patriarchalen Gesellschaftsordnung,<br />
der ihn selbst auf dem Lustschloss Retiro einholt: Der König fühlt sich durch<br />
die Ratschläge der auf ein Ende der Affäre drängenden Berater mindestens ebenso unwohl<br />
wie durch seine psychische und physische Abhängigkeit von Rahel. So plötzlich und heftig,<br />
wie die Beziehung zu Rahel begann, naht daher das Ende: Eine Kette mit Rahels Bild, die der<br />
König um den Hals trägt, symbolisiert seine enge Bindung an die junge Jüdin. Doch bald ist<br />
Alphons sicher, von Rahel verzaubert worden zu sein und entledigt sich des Schmuckstückes<br />
(vgl. HKA, S. 536, V. 1443-1444):<br />
KÖNIG stehen bleibend: Ein Zauber endlich ist. Er heißt Gewohnheit,<br />
Der Anfangs nicht bestimmt, doch später festhält,<br />
Von dem was störend, widrig im Beginn,<br />
Abstreift den Eindruck, der uns Unwillkommen,<br />
Das Fortgesetzte steigert zum Bedürfnis.<br />
Ist’s leiblich doch auch anders nicht bestellt.<br />
Die Kette, die ich trug – und die nun liegt,<br />
Auf immer abgetan – So Hals als Brust<br />
210 Schaum, Konrad: Psychologie und Zeitbewußtsein. Zur Menschengestaltung Franz Grillparzers. In: Grillparzer-<br />
Studien. Hg. v. Konrad Schaum. Bern/Berlin u. a.: Peter Lang 2001, S. 55-66, S. 65.<br />
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