DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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Und nicht Lohn des Fehlers schiene […]. (HKA, S. 97, V. 10-14)<br />
Doch schon im nächsten Augenblick wird dieser Gedanke von Mirza wieder verworfen. Sie<br />
hat die gesellschaftlichen Normen mit jeder Faser ihres Körpers aufgesogen, sodass es keiner<br />
Disziplinierung ihres Verhaltens von außen bedarf. Bevor sie die Grenzen der Konvention<br />
überschreitet, weist sie sich unbewusst selbst in die Schranken. Anstatt zu „grollen“ richtet sie<br />
lediglich eine rhetorische Frage an Rustan:<br />
MIRZA Rustan!<br />
RUSTAN Ha, man kömmt!<br />
MIRZA Du bist es!<br />
Konntest du so lange weilen?<br />
O wir zitterten um dich […]. (HKA, S. 109,V. 411-415)<br />
Mirzas angepasstes Verhalten wurzelt in zwei elementaren Mängeln: Ihr fehlen die Gelegenheiten<br />
<strong>für</strong> ein Aufbegehren mindestens ebenso sehr wie die Beispiele <strong>für</strong> einen alternativen<br />
Lebensentwurf. So wie ihr alter Vater nicht genügend Angriffsfläche bietet, verkörpert Rustan<br />
ihre einzig mögliche soziale wie ökonomische Zukunftsperspektive: „In Grillparzers Diskurs<br />
befinden sich die weiblichen Charaktere ausnahmslos in Situationen der Unfreiheit – in einem<br />
misogynen Umfeld. Ihre Charaktere und Verhaltensweisen sind davon geprägt, wieviel [sic]<br />
oder wie wenig Spielraum ihnen zur Verfügung steht.“ 128 Mirza ist in ihrem männerdominierten<br />
Umfeld als Frau völlig auf sich alleine gestellt. Sie hat weder Mutter noch Freundin (wie<br />
Hero) und auch keine Schwester (wie Rahel). Dadurch mangelt es Mirza sowohl an weiblicher<br />
Solidarität als auch an Kenntnis weiblicher Lebensentwürfe, die die herrschenden Konventionen<br />
überschreiten. Auch Mirzas Sexualität fügt sich in die bürgerlich-patriarchalen<br />
Normen der Biedermeierzeit: Sie existiert <strong>für</strong> eine junge, unverheiratete Frau offenbar nicht.<br />
Die Repression, die auf Mirza wirkt, lässt sich als Resultat zweier Faktoren zusammenfassen:<br />
Zum einen handelt es sich um ein Zusammenspiel von sozioökonomischen Zwängen<br />
und strikten Rollenmustern der patriarchalen Gesellschaft, zum anderen wirkt sich die<br />
totale Abwesenheit anderer Frauen negativ auf Mirzas Fähigkeit zur Selbstreflexion aus. Somit<br />
erweckt Mirzas Verhalten schnell den Anschein einer täuschenden „Natürlichkeit“. Dadurch<br />
unterscheidet sich Mirzas fügsames Leben sowohl von der gewaltsam herbeigeführten<br />
Unterdrückung Rahels als auch von der selbst gewählten und religiös motivierten Unterwerfung<br />
Heros.<br />
128 Lorenz, Dagmar C. G.: Frau und Weiblichkeit bei Grillparzer, S. 206.<br />
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