DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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Geh nur und trag es fort!<br />
Der Diener geht.<br />
HERO Halt du, und setz es ab, wenns Jene kränkt.<br />
Gib sag ich!<br />
Sie hat dem Diener das Körbchen abgenommen.<br />
Armes Tier, was zitterst du?<br />
Sieh, Mutter, es ist heil.<br />
Die Taube streichelnd:<br />
Bist du erschrocken?<br />
Sie setzt sich auf den Stufen der Bildsäule links im Vorgrunde<br />
nieder, das Körbchen in den Händen; indem sie bald durch<br />
Emporheben die Taube zum Fortfliegen anlockt, bald betrachtend<br />
und untersuchend sich mit ihr beschäftigt.<br />
PRIESTER zum Diener: Was ist? Befahl ich nicht?<br />
Der Diener weist entschuldigend auf Hero.<br />
PRIESTER zu ihr tretend: Bist du so neu im Dienst,<br />
Daß du nicht weißt was Brauches hier und Sitte? […]<br />
Kein Vogel baut beim Tempel hier sein Nest,<br />
Nicht girren ungestraft im Hain die Tauben,<br />
Die Rebe kriecht um Ulmen nicht hinan,<br />
All was sich paart bleibt ferne diesem Hause,<br />
Und jene dort fügt heut sich gleichem Los.<br />
HERO die Taube streichelnd: Du armes Tier, wie streiten sie um uns!<br />
(HKA, S. 22-23, V. 343-359)<br />
In dieser Szene macht Grillparzer nicht nur Heros Empfindsamkeit, ihre Mitleidsfähigkeit und<br />
ihre Tierliebe deutlich, sondern er verweist auf ihre Intuition. Hero findet sich in der Taube<br />
wieder, die der Willkür des Priesters ausgesetzt ist:<br />
Der Dichter verrät […] das schlummernde Gefühl des Mädchens; er deckt in diesen<br />
wenigen Worten, dieser einen Gebärde, die seelische Gefährdung seiner Heldin auf,<br />
die erst dann erkennen darf, daß sie zur Liebe reif, zu lieben geschaffen wurde, wenn<br />
sie dem Priesterstand beigetreten und damit dem Liebesverbot verfallen ist. 141<br />
Was im Streitgespräch mit Janthe aus Selbstschutz noch als schroffe Ablehnung hervortrat,<br />
erweist sich als der gleiche Charakterzug, der in der Tauben-Szene deutlich wird: Hero besitzt<br />
die Gabe, ihre Gefühle unverfälscht wahrzunehmen. Politzer bezeichnet diese Eigenschaft<br />
Heros mit Bezug auf Grillparzers Vorarbeiten mit dem Begriff „sensuell“. 142 Freilich gelingt<br />
es Hero nicht, ihre zwei zentralen Bedürfnisse in einem gelingenden Lebensentwurf zu vereinen:<br />
Sie sehnt sich nach dem authentischen Ausleben ihrer Gefühle und ist zugleich von einem<br />
Bedürfnis nach Emanzipation geprägt. Den geeigneten Weg zu einem selbstbestimmten<br />
Leben sieht Hero zunächst im Priesterinnendasein im Dienst der Aphrodite. Doch in Wahrheit<br />
ist Hero an den kultischen Handlungen recht wenig gelegen, vielmehr scheint sie mangels<br />
Alternativen in den Dienst der Göttin getreten zu sein. Dagmar C. G. Lorenz erkennt ähnliche<br />
141 Ebd., S. 212.<br />
142 Ebd., S. 218.<br />
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