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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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en Präsenz der Mutter. Die Abwesenheit der Mutter bedeutet eine Parallele zwischen Mirza,<br />

Gülnare und Rahel, wogegen Heros Mutter zwar noch am Leben ist, in den frühen Kinderjahren<br />

allerdings von der Tochter getrennt wurde. Somit verbringt auch Hero eine mutterlose<br />

Jugend. Eine ähnlich triste Kindheit verleben Leander, der den Verlust der Mutter nicht verwindet,<br />

sowie König Alphons, dem seit jungen Jahren beide Elternteile fehlen.<br />

Demnach stellen zerrüttete Familienverhältnisse offensichtlich ein wesentliches Motiv<br />

in Grillparzers Dramen dar, da sie vielfältige Anknüpfungspunkte <strong>für</strong> spätere Konflikte bieten.<br />

Als Musterbeispiel <strong>für</strong> diese These kann das Schicksal der Hero gelten: Sie führt zunächst<br />

als Priesterin auf der Insel Sestos ein Leben abseits des repressiven Familienverbandes. Doch<br />

was zunächst wie die Utopie einer besseren Welt anmutet, entpuppt sich schnell als das genaue<br />

Gegenteil. Der Oberpriester, der zugleich Heros Onkel ist, hat auf der hermetisch abgeschlossenen<br />

Insel ein umfassendes patriarchales Machtsystem aufgebaut. Grillparzer etabliert<br />

auf Sestos daher keinerlei Alternative zur herrschenden Gesellschaftsordnung, sondern er extrahiert<br />

deren Zwänge und präsentiert sie auf der Priesterinsel in konzentrierter Form: Die Regeln<br />

sind streng, Kontrolle ist allgegenwärtig. Zwar erfährt Hero auf Sestos zunächst ein gewisses<br />

Maß an Selbstbestimmtheit, doch diese Freiheit enttarnt sich schnell als trügerisch.<br />

Denn als Hero durch das heimliche Treffen mit Leander autonom handelt und damit gegen die<br />

strengen Kultvorschriften des Onkels verstößt und das Herrschaftssystem gefährdet, greift der<br />

Oberpriester zu gnadenlosen Mitteln, um die Ordnung zu restaurieren.<br />

Das Thema der Erschütterung des patriarchalen Herrschaftssystems durch eine junge<br />

Frau gestaltet Grillparzer auch in der Jüdin von Toledo, indem er seine Männerfiguren in Rahel<br />

eine Gefährdung des bestehenden Machtsystems erkennen lässt. Wie in Des Meeres und<br />

der Liebe Wellen geht es auch in der Jüdin von Toledo um die Bewahrung des herrschenden<br />

Ordnung, die von einer unangepassten Frauenfigur in den Grundfesten erschüttert wird. In<br />

diesem Zusammenhang bietet sich ein Blick zu Gülnare aus Der Traum ein Leben an, die mit<br />

ihrer selbstbewussten Herrschaftsführung einen ebenso emanzipierten Entwurf von Weiblichkeit<br />

verkörpert wie Hero und Rahel. Zwar entspinnt Grillparzer die Vision der herrschenden<br />

Gülnare nur in Rustans Traumgeschehen, doch auch Gülnares Handeln wohnt ebenso revolutionäres<br />

Potenzial inne wie Rahels Aufmüpfigkeit und Heros Anspruch auf Selbstbestimmtheit.<br />

Grillparzer gestaltet mit Rahel, Hero und Gülnare drei unterschiedliche Wege zur<br />

Verwirklichung des emanzipatorischen Anspruchs. So versucht Gülnare, sich zu behaupten,<br />

indem sie männlich konnotierte Eigenschaften an den Tag legt, wenn sie beispielsweise das<br />

Heer selbstbewusst befehligt oder sich dem bewaffneten Rustan entgegenstellt. Gülnare, das<br />

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