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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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Schutzbedürfnis in ihr verblieben ist, auf den Bruder des Vaters, den Priester, übertragen.“ 153<br />

Doch Grillparzer erzeugt im Verlauf des Stückes auch zwischen Hero und dem Priester eine<br />

immer stärkere Spannung, die schließlich in offen ausgesprochenes Misstrauen mündet:<br />

PRIESTER Zähm’ ich den Grimm in meiner tiefsten Brust?<br />

Kein Zweifel mehr, die Zeichen treffen ein! –<br />

Ein Mann dem Tempel nah, und Hero weiß es.<br />

Und Einer wars von jenen Jünglingen,<br />

Leander und Naukleros heißen sie,<br />

Die, aus Abydos, ich im Haine traf.<br />

Ob aber schon seit lang mit Heuchlerkunst,<br />

Sie mirs verbirgt; ob nun erst, heute, jetzt erst? (HKA, S. 67, V. 1499-1506)<br />

[…]<br />

HERO Genau besehn, wollt’ ich, er [Leander, Anm.] käme nicht.<br />

Ihr Argwohn ist geweckt, sie lauern, spähn.<br />

Wenn sie ihn träfen – mitleidsvolle Götter!<br />

Drum wärs besser wohl, er käme nicht. (HKA, S. 79, V. 1794-1797)<br />

Diese Aussagen belegen, dass zwischen Hero und dem Priester kein Vertrauensverhältnis<br />

besteht, sondern dass ihr Zusammenleben nicht viel mehr als eine – von Heros Vater und Onkel<br />

erzwungene – Zweckgemeinschaft ist. Damit sind jene Attribute, die Hero dem Onkel<br />

formelhaft zuschreibt („guter Ohm“, „edler Ohm“, HKA, S. 19, V. 258 und S. 14, V. 91),<br />

bloße Floskeln, die sie bewusst verwendet, um den brüchigen Frieden des Inselidylls zu wahren.<br />

Denn Hero weiß, dass ihre Stellung innerhalb dieses patriarchalen Machtgefüges allein<br />

vom Wohlwollen ihres Onkels abhängt. Die Insel Sestos stellt den idealen Wirkungsbereich<br />

männlicher Machtausübung in verdichteter Form dar: Sestos ist ein hermetisch von der Außenwelt<br />

abgeriegelter und streng bewachter Ort, der symbolhaft mit einem „Gittertor“ (HKA,<br />

S. 13, V. 80) gesichert ist. Der Fortbestand dieser Idylle wird nicht durch natürliche Neigung<br />

der handelnden Personen, sondern durch ein straffes Regelsystem gewährleistet. Zur Wahrung<br />

dieser scheinbar heilen Welt scheut der Priester auch vor Lügen nicht zurück und zeigt damit,<br />

„wie inständig er aber die Unerbittlichkeit des Schicksals zu beschwichtigen wünscht und<br />

darauf erpicht ist, das Ansehen der Priesterin und seines Hauses zu wahren, wie aufklärerisch<br />

er sich bereit findet, die ganze Affaire mit allem Drum und Dran vergessen sein zu lassen<br />

[…]“. 154 Freilich handelt der Priester in erster Linie aus Selbstschutz – immerhin ist er hauptverantwortlich<br />

<strong>für</strong> Leanders Tod – und weniger aus Sorge um das Ansehen Heros. Im Mittelpunkt<br />

seiner kühl kalkulierten Handlungen steht die Wahrung der eigenen Vormachtstellung<br />

und der patriarchal-religiösen Machtstrukturen auf der Insel Sestos:<br />

PRIESTER Was war? Was ist geschehn?<br />

JANTHE mit gerungenen Händen nach dem Strauche zeigend:<br />

153 Politzer, Heinz: Franz Grillparzer oder das abgründige Biedermeier, S. 214.<br />

154 Ebd., S. 227.<br />

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