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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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neue Dimension männlicher Machtausübung. Die neue Bezugsperson des Mädchens ist jemand,<br />

der in zweifachem Sinn Autorität verkörpert: der Onkel, ein nahezu fremder Mann, der<br />

zugleich das Amt des Oberpriesters bekleidet. Hero lässt das Gewaltpotenzial dieses Umsiedlungsaktes<br />

anklingen, wenn sie erzählt, dass sie „Nur halb bewußt an diesen Ort gebracht“<br />

(HKA, S. 16, V. 147) wurde. In dieser einen Verszeile kommt durch die Betonung des „halb<br />

bewußt[en]“ Zustandes nicht nur der Unwille, sondern durch die Verwendung des Passivs<br />

auch das wortwörtliche Erleiden dieser Handlung zum Ausdruck. Das Mädchen dient lediglich<br />

als Spielball zur Wahrung männlicher Herrschaftsinteressen. Nur um eine Familientradition<br />

aufrecht zu erhalten – schon Heros Tante war Priesterin auf Sestos (vgl. HKA, S. 45, V.<br />

912) – wird das Kind zur Priesterin auserkoren und muss auf die Insel übersiedeln. Angesichts<br />

der schlechten Erfahrungen im Elternhaus mag dieser Schritt <strong>für</strong> Hero tatsächlich eine gewisse<br />

Verbesserung bedeutet haben, doch die frühe Trennung von Mutter und Tochter hat bei<br />

beiden Spuren hinterlassen, wie Grillparzer bei deren erstem Wiedersehen nach „sieben langen<br />

Jahren“ (HKA, S. 45, V. 921) zeigt. Emotionale Interjektionen dominieren den Dialog.<br />

Während Hero <strong>für</strong> den Vater nur abfällige Bemerkungen übrig hat, erfüllt sie der Anblick der<br />

Mutter mit Freude:<br />

HERO Mutter! Mutter!<br />

[…] Heros Eltern kommen.<br />

VATER Mein Kind! Hero, mein Kind!<br />

HERO auf ihre Mutter zueilend: O meine Mutter!<br />

VATER Sieh nur, wir kommen her, den weiten Weg […]<br />

HERO Meine Mutter!<br />

VATER Sie auch! Auch sie! […]<br />

MUTTER halblaut: Mein gutes Kind!<br />

HERO Hörst du? Sie sprach. O süßer, süßer Klang,<br />

So lange nicht gehört. O meine Mutter! (HKA, S. 18-19, V. 227-265)<br />

Die Konsequenz des jähen Abschiedes aus dem Elternhaus war die enge Bindung des kleinen<br />

Mädchens an den Onkel, der in Personalunion die Positionen von Vater und Mutter einnahm:<br />

„Die verfrühte Trennung von den Eltern wurde durch den priesterlichen Onkel bewältigt, mit<br />

dessen Devise fragloser Pflichterfüllung sich das junge Mädchen anfangs noch wie selbstverständlich<br />

identifiziert.“ 152 Hero wuchs in einem streng hierarchisch gegliederten System religiöser<br />

Verhaltensvorschriften auf, in dem die einzige vertraute Person zugleich als oberster<br />

Befehlsgeber fungierte. Dennoch bringt Hero dem Onkel positivere Gefühle entgegen als ihrem<br />

leiblichen Vater. Während sie den Vater stets spöttisch beäugt, nennt sie den Onkel wiederholt<br />

„O guter Ohm“ und „mein edler Ohm“ (HKA, S. 19, V. 258 und S. 14, V. 91 ): „Aus<br />

guten Gründen hat sie [Hero, Anm.], was noch an kindlicher Neigung und töchterlichem<br />

152 Prutti, Brigitte: Letale Liebe und das Phantasma idealer Mütterlichkeit, S. 186.<br />

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