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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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Rahels leichtfertiger Umgang mit Wertgegenständen wirkt sorglos und unbekümmert, doch<br />

dieses Verhalten impliziert zugleich Kritik an der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.<br />

Diese revolutionäre Haltung Rahels tritt im Vergleich zu der monetären Besessenheit ihres<br />

raffgierigen Vaters Isak besonders deutlich hervor: „Isaaks feiges Verhalten und seine Geldgier<br />

– er sorgt sich mehr um sein Geld als um die Tochter – reduzieren ihn zu einem grotesken<br />

Wicht.“ 222<br />

Rahels ökonomische Freiheit stellt einen wesentlichen Faktor <strong>für</strong> ihre authentische<br />

Weiblichkeit dar. Doch während Grillparzer noch im ersten und zweiten Akt mehrfach auf die<br />

wirtschaftliche Unabhängigkeit Rahels Bezug nimmt, rückt er diesen Aspekt im weiteren Verlauf<br />

des Dramas in den Hintergrund. Im Gegenzug stellt Grillparzer Rahels authentische Körperlichkeit<br />

in den Fokus des Geschehens. Dies lässt den Schluss zu, dass Rahels ökonomische<br />

Unabhängigkeit zwar eine wesentliche Bedingung <strong>für</strong> ihr authentisches Auftreten ist, ihre<br />

wirtschaftliche Macht dennoch nicht den ausschlaggebenden Grund <strong>für</strong> ihre Stilisierung zur<br />

Bedrohung der Gesellschaftsordnung darstellt. Rahels Bedrohlichkeit <strong>für</strong> das System erklärt<br />

sich vielmehr aus ihrer offen ausgelebten Weiblichkeit, die auf das männliche Machtsystem<br />

ungleich gefährlicher wirkt als ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit.<br />

In ihrer ökonomischen Unabhängigkeit unterscheidet sich Rahel deutlich von zwei<br />

weiteren Frauenfiguren, die Gegenstand dieser Analyse sind: einerseits von Hero, die nur<br />

durch ihren Status als Priesterin über materiellen Besitz verfügt, andererseits von Mirza, die<br />

als Tochter eines Landmannes definiert wird. Eine Parallele ergibt sich dagegen zwischen<br />

Rahel und der Figur der Gülnare, die als junge, reiche Prinzessin von Samarkand über das<br />

väterliche Reich herrscht. Bei beiden Frauenfiguren unterstreicht die wirtschaftliche Selbstbestimmung<br />

ihr emanzipiertes Auftreten innerhalb der patriarchalen Gesellschaftsordnung.<br />

Doch bei näherer Betrachtung zeigen sich deutliche Differenzen zwischen diesen beiden ökonomisch<br />

unabhängigen Frauenfiguren, denn Gülnare und Rahel messen ihrer sicheren ökonomischen<br />

Basis eine sehr unterschiedliche Bedeutung bei. Für Gülnare spielen Statussymbole<br />

wie Schmuck und Gold zum Ausdruck ihrer Unabhängigkeit keine grundlegende Rolle. Die<br />

Prinzessin von Samarkand demonstriert ihre Selbstbestimmtheit lieber durch die kluge Lenkung<br />

der Geschicke des Königsreiches. Dadurch schlüpft Gülnare in die Rolle ihres ermordeten<br />

Vaters und handelt als junge Frau wie ein besonnener Staatsmann: Sie verschwendet keine<br />

Gedanken an ihre Reichtümer, sondern sie verwendet ihre Kraft darauf, das Königreich zu<br />

schützen. Gülnare erfüllt diese Aufgaben nicht unkonventionell, sondern sie legt nach dem<br />

222 Lorenz, Dagmar C. G.: Die Darstellung jüdischer Gestalten bei Grillparzer, S. 14.<br />

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