DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Und frevelnd unter Frevlern mich ergehn?<br />
Ausschreien will ichs durch die weite Welt,<br />
Was ich erlitt, was sich besaß, verloren,<br />
Was mir geschehn und wie sie mich betrübt.<br />
Verwünschen dich, daß es die Winde hören<br />
Und hin es tragen vor der Götter Thron.<br />
Du warsts, du legtest tückisch ihm das Netz,<br />
Ich zog es zu, und da war er verloren.<br />
Wo brachtet ihr ihn hin? ich will zu ihm! (HKA, S. 86, V. 1931-1940)<br />
Diese Anklage des Onkels ist zugleich das letzte Aufblitzen von Heros emanzipatorischer<br />
Kraft („Ausschreien will ichs durch die weite Welt“). Denn schon wenige Verse später<br />
scheint sie die Aussichtslosigkeit ihrer Situation erkannt zu haben, wenn sie resignierend, aber<br />
„stark“ feststellt: „Nun denn, ich hab’ gelernt Gewaltigem mich fügen! / Die Götter wolltens<br />
nicht, da rächten sies.“ (HKA, S. 91, V. 2046-2047). Als Hero an Leanders Bahre tritt, um<br />
Abschied von der Leiche zu nehmen, überwältigt sie der Schmerz freilich aufs Neue: Der Onkel<br />
steht teilnahmslos daneben, er scheint das Geschehen lediglich zu überwachen, um weiteres<br />
Aufsehen zu verhindern:<br />
NAUKLEROS Hab Mitleid, Herr!<br />
PRIESTER Ich habe Mitleid,<br />
Deshalb erret’ ich sie.<br />
Zu Hero tretend: Es ist genug.<br />
HERO sich mit Beistand aufrichtend: Genug?<br />
Meinst du? genug? – Was aber soll ich tun?<br />
Er bleibt nicht hier, ich soll nicht mit. […] (HKA, S. 92, V. 2065-2071)<br />
Selbst angesichts Heros seelischen Schmerzes und ihres körperlichen Verfalls bleibt der Priester<br />
gefühlskalt. Seine zynischen Kommentare legen nahe, dass sogar Heros Tod in Kauf nähme:<br />
„Und gälts ihr Leben! Gäb‘ ich doch auch meins / Um Unrecht abzuhalten. Doch es ist<br />
nicht.“ (HKA, S. 93-94, V. 2108-2109). Auch auf Janthes Hilferufe reagiert der Priester nicht:<br />
JANTHE die Heron angefaßt hat, zum Priester:<br />
Herr, der Frost des Todes ist mit ihr!<br />
PRIESTER Ob Tod, ob Leben, weiß der Arzt allein. […]<br />
JANTHE<br />
Sie gleitet, sinkt!<br />
Setzt ab! in Doppelschlägen pocht ihr Herz!<br />
PRIESTER Des Herzens Schlag ist Leben, Doppelschlag<br />
Verdoppelt Leben denn. Ihr tragt ihn fort!<br />
Der ist kein Arzt, der Krankendrohung scheut.<br />
Man hat die Leiche [Leanders, Anm.] zur Pforte hinausgetragen. Der Priester folgt.<br />
JANTHE Ist hier nicht Hilfe, Rettung? Sie vergeht. (HKA, S. 92-93, V. 2083-2093)<br />
Heros Tod ist demnach nicht die Konsequenz eines unabwendbaren tragischen Schicksals,<br />
sondern er bleibt ihr einziger Ausweg aus diesem engmaschigen System männlicher Macht-<br />
- 59 -