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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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auf utopische Weise zum Prinzen wird, kann sich eine junge Frau getrost selbstbewusst an die<br />

Spitze eines Königreiches stellen: Beides scheint <strong>für</strong> Grillparzers zeitgenössisches Publikum –<br />

und wohl auch <strong>für</strong> die Zensurbehörde – schlicht zu abwegig, um die herrschende Ordnung<br />

tatsächlich in Frage zu stellen. Dennoch ist die Figur der Gülnare in der Grillparzer-<br />

Frauenforschung bisher zu Unrecht vernachlässigt worden. Denn mit Gülnare offenbart Grillparzer<br />

emanzipatorische Gedanken, die angesichts des gesellschaftlichen Hintergrundes der<br />

Entstehungszeit des Werkes (1817-1830) nahezu revolutionär anmuten. So wehrt sich Gülnare<br />

etwa gegen eine Heirat mit dem Chan von Tiflis, einem standesgemäßen, mächtigen und reichen<br />

Mann, der nach dem heiratspolitischen Verständnis der Biedermeierzeit zweifellos eine<br />

gute Partie bedeutet hätte. Doch Gülnare widersetzt sich dem väterlichen Vorschlag und verzichtet<br />

zugleich auf eine gesicherte Zukunft als Ehefrau. Dieses Vorgehen wirkt <strong>für</strong> eine Frau<br />

der Biedermeierzeit, die im Prinzip nach wie vor der patria potestas untersteht, mehr als ungewöhnlich.<br />

Nach dem Tod des Vaters übernimmt Gülnare die Herrscherrolle. Faszinierend<br />

an dieser Frauenfigur ist die subtile Wandlung, die sie im Laufe des Dramas durchläuft: Zunächst<br />

zeigt Gülnare typisch weiblich konnotierte Eigenschaften, wie etwa die Angst vor der<br />

Schlange, um sich im nächsten Moment dieses Verhaltens bewusst zu werden und sich selbst<br />

zur Härte zu ermahnen. Gülnare enttarnt ihre Reaktion als weibliche Schwäche und wendet<br />

sich bewusst dagegen, sie übernimmt männlich konnotierte Eigenschaften wie Mut, Stärke<br />

und Standhaftigkeit. Damit präsentiert Grillparzer Gülnare als emanzipierte Frau, die ihr Verhalten<br />

reflektiert und dadurch den Männern die Stirn bietet.<br />

Mit Gülnare eröffnet Grillparzer <strong>für</strong> die Frau der Biedermeierzeit einen Ausweg aus<br />

der weiblichen Unterdrückung: Eine Frau, die auf typisierte weibliche Verhaltensweisen verzichtet<br />

und sich stattdessen männliche Tugenden aneignet, kann den Männern auf Augenhöhe<br />

gegenübertreten. Gülnares Unabhängigkeit entspringt einem ständigen Ringen um Selbstbeherrschung<br />

und um Verdrängung weiblich konnotierter Gefühle. Die sublimierte Forderung<br />

Grillparzers lautet daher, dass Frauen ihre weiblichen Eigenschaften abzulegen hätten, falls<br />

sie in der patriarchalen Gesellschaft reüssieren wollen. Somit ist Grillparzer mit der Figur der<br />

Gülnare von authentisch gelebter Weiblichkeit, wie er sie später anhand von Rahel zeigt, noch<br />

weit entfernt.<br />

Abgesehen von dieser Einschränkung ist Gülnares Ausgangsposition im Vergleich zur<br />

Lebenssituation einer bürgerlichen Biedermeierfrau freilich außerordentlich günstig, um sich<br />

als selbstbestimmte Frau gegen die patriarchale Ordnung auflehnen zu können: Als Alleinerbin<br />

des Königreiches von Samarkand stattet Grillparzer sie mit einer umfassenden ökonomischen<br />

Unabhängigkeit aus. Wie bereits Mirza lässt Grillparzer bezeichnenderweise auch Gül-<br />

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