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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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Das der Seele Kraft bezwingt,<br />

Kindisch solche Schauer bringt. (HKA, S. 130, V. 1002-1006)<br />

Gülnare beobachtet ihre Gefühlswelt und ihre Wirkung auf die Umgebung von einer übergeordneten<br />

Ebene: Sie reflektiert ihre Rolle als Frau, kontrolliert ihr Verhalten und modifiziert<br />

es gegebenenfalls. Freilich ist Gülnare weder allwissend noch fehlerlos. Doch sie besitzt die<br />

Fähigkeit, sich schnell an Situationen anzupassen, Entscheidungen zu treffen und ihre Meinung<br />

stark zu vertreten. All diese Eigenschaften werden in der Biedermeierzeit typischerweise<br />

mit Männern konnotiert. Grillparzer verkehrt diese Zuschreibungen ins Gegenteil 123 : Sein<br />

Held Rustan ist launenhaft, wankelmütig und schwach, während Gülnare eine willensstarke<br />

Frau verkörpert. Grillparzer entwirft mit ihr das Bild einer selbstbestimmten jungen Frau, die<br />

die Grenzen der Biedermeierzeit in vielen gesellschaftlich genormten Bereichen überschreitet:<br />

Sie bietet Männern die Stirn, indem sie ein Eheangebot ausschlägt und den heimtückischen<br />

Mord an ihrem Vater durchschaut: „Ei, Kühner! / Trafst den Vater; scheust du Blut?“ (HKA,<br />

S. 179, V. 2344-2345). Schließlich weist sie Rustan in die Schranken und versammelt die<br />

Krieger hinter sich. Sie befehligt die Armee im selbstbewussten Imperativ (V. 2328), während<br />

Rustan seine Herrschaftsansprüche nur zögernd im Konjunktiv anmeldet (V. 2326):<br />

RUSTAN […] Nimm die köstlichsten Provinzen,<br />

Kleinod, Perlen, Edelstein;<br />

Mir laß eine leere Wüste,<br />

Wo Verlangen buhlt mit Armut,<br />

Wo kein Gold als Sonnenschein.<br />

Doch die Herrschaft, sie sei mein.<br />

GÜLNARE Dir die Herrschaft? Herrsch in Ketten!<br />

Nehmt gefangen ihn!<br />

RUSTAN Bedenk!<br />

Der Hintergrund hat sich nach und nach mit Soldaten gefüllt.<br />

Nur ein Wort und diese Krieger,<br />

Deren Abgott ich in Schlachten –<br />

GÜLNARE Für mich, doch nicht gegen mich!<br />

Schau, sie fliehen deine Reihen!<br />

Kommt zu mir her, meine Treuen!<br />

Die Krieger, die auf Rustans Seite gestanden haben, schließen sich<br />

Einer nach dem Andern, samt den Anführern, der gegenüber<br />

stehenden Reihe an. […]<br />

RUSTAN den Säbel ziehend:<br />

Nun, wohlan, so gilts zu fechten! […]<br />

RUSTAN in Fechterstellung:<br />

Kommt nur an! Ihr alle, alle!<br />

GÜLNARE ihm entgegen tretend:<br />

Diese nicht, sie sind nur Diener;<br />

123 Auf die Aufweichung „typisch weiblicher“ und „typisch männlicher“ Charaktermerkmale bei Franz Grillparzer<br />

verweisen u.a. Lorenz, Dagmar C. G.: Frau und Weiblichkeit bei Grillparzer, S. 209 und Janke, Pia: Gescheiterte<br />

Authentizität, S. 62-63.<br />

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