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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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Heros Geliebter in der nächsten Nacht zurückkehren wird und fasst den Plan, ihm eine Falle<br />

zu stellen:<br />

PRIESTER<br />

[…] Naukleros und Leander? Welcher wars?<br />

Die flachen Hände vor sich hingestreckt:<br />

In gleichen Schalen wäg’ ich euer Los.<br />

Die Namen beide ähnlichen Gehalts,<br />

Die Zahl der Laute gleich in ein und anderm,<br />

Desselben Anspruchs Jeder auf das Glück:<br />

Indes der Eine doch ein Lebender, Beseelter,<br />

Sein Freund ein Toter ist, schon jetzo tot.<br />

(HKA, S. 67-68, V. 1507-1513)<br />

Bezeichnenderweise ist es nicht Heros Fehlverhalten, das den Zorn des Priesters erweckt,<br />

sonder die Gefährdung des Herrschaftssystems durch einen Fremden, der ihm mit Hero die<br />

zentrale Integrationsfigur des religiösen Kultes streitig macht: „Unseliger, was strecktest du<br />

die Hand / Nach meinem Kind, nach meiner Götter Eigen?“ (HKA, S. 68, V. 1517), fragt der<br />

Priester. Die zweimalige Betonung des Possessivpronomens verdeutlicht die absolute Verfügungsgewalt,<br />

die der Priester über Hero beansprucht. Erst der Anblick ihrer Leiche verändert<br />

das Verhalten des Priesters: Während er die Entfernung von Leanders Leichnam noch geschäftig<br />

organisierte (vgl. HKA, S. 92, V. 2085), fehlen ihm angesichts der toten Nichte die<br />

Worte: „Er eilt die Stufen hinauf, vor der Hingesunkenen knieend“ (HKA, S. 93, Regieanweisung<br />

vor V. 2109), bleibt aber stumm. Es ist Janthe, die die letzten Anweisungen <strong>für</strong> Hero<br />

trifft: „Sie nimmt den Kranz von Amors Bildsäule. / Hier tragt diesen Kranz mit der Bleichen<br />

fort.“ (HKA, S. 93, V. 2118).<br />

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Hero lebenslang von patriarchalen Einflüssen<br />

geprägt bleibt. Während es ihr bald gelingt, sich dem Einfluss von Vater und Bruder<br />

zu entziehen, bleibt sie dem Willen des Onkels bis zu ihrem Tod ausgeliefert. Von ihm gehen<br />

auf mehreren Ebenen wirkungsvolle Strategien zur Unterdrückung weiblichen Autonomieverlangens<br />

aus. Die Hauptquelle seiner Machtfülle bildet die religiöse Autorität, die er als Oberpriester<br />

der Insel Sestos verkörpert. Diesen umfassenden religiösen Einfluss verstärkt er durch<br />

sein berechnendes und manipulatives Verhalten.<br />

3.2.4 Ökonomische Positionierung<br />

Der entscheidende Faktor <strong>für</strong> Heros wirtschaftliche Situation und ihre gesellschaftliche<br />

Positionierung ist ihre Abkunft aus einer Familie, die im Zusammenhang mit kultischen<br />

Handlungen über gewisse Privilegien verfügt. Heros Vater und der Priester von Sestos sind<br />

Brüder, somit ist „DER OBERPRIESTER, ihr Oheim“ (HKA, S. 10). Seit Generationen obliegt<br />

dieser Familie das Vorrecht des Götterdienstes, wie der Priester im Dialog mit Hero ausführt:<br />

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