DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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Jahren ist der Schmerz über die frühe Trennung von der Tochter bei der Mutter noch überdeutlich<br />
spürbar. Dennoch hat sie zum Zeitpunkt von Heros Abschied nicht einmal den Versuch<br />
einer Opposition gegen den Ehemann unternommen. Die Vermutung liegt nahe, dass<br />
sich Heros Mutter vornehmlich aus Existenzangst mit dem Verlust ihrer kleinen Tochter arrangiert<br />
hat. Denn im Gegensatz zu Hero tat sich <strong>für</strong> ihre Mutter nie eine Alternative zum<br />
Dasein als unterdrückte Ehefrau auf. Somit erklärt sich das Zwangsverhältnis, das Heros Mutter<br />
nach wie vor an Heros Vater bindet, primär aus wirtschaftlicher Abhängigkeit. Die Mutter<br />
biegt sich diese Wahrheit freilich zurecht, indem sie nicht von Versorgungssicherheit, sondern<br />
von Glück redet, das eine Frau in der Ehe finden könne. Angesichts ihres freudlosen Lebens<br />
klingt dieser Ratschlag an die Tochter freilich zynisch: „Was soll ich dirs verhehlen? / Das<br />
Weib ist glücklich nur an Gattenhand.“ (HKA, S. 21, V. 319-320).<br />
Hero widerspricht dieser Behauptung entschieden. Doch ihre eigene ökonomische<br />
Positionierung bietet ihr selbst kaum mehr Spielraum, als ihrer Mutter in der Ehe zur Verfügung<br />
steht. Denn auf der Insel Sestos lebt Hero unter dem direkten Einfluss ihres Onkels, der<br />
als Priester eine absolute männliche Machtposition verkörpert. In dieser Funktion regelt er<br />
nicht nur die Kulthandlungen, sondern inszeniert sich überdies als umfassender Herrscher: Er<br />
befehligt das Tempelpersonal und tritt zudem als Landesherr auf, etwa wenn er die beiden<br />
fremden Jünglinge Leander und Naukleros als Eindringlinge betrachtet: „Weis Jene dort zurück“<br />
(HKA, S. 25, V. 424), befiehlt er dem Tempelhüter bei ihrem Anblick. Es überrascht<br />
nicht, dass der Onkel auch über die ökonomischen Ressourcen der Insel Sestos verfügt. So<br />
bestimmt er etwa über Heros tägliches Arbeitspensum, wenn er seiner Nichte Botengänge<br />
aufträgt oder religiöse Übungen vorschreibt (vgl. HKA, S. 66-67). Überdies legt er ihren<br />
Wohnsitz fest, indem er Hero nach der Priesterweihe in den Turm führt: „Des Dienstes heil’ge<br />
Pflichten sind vollbracht, / Der Abend sinkt; so komm denn in dein Haus, / Von heut an dein,<br />
der Priestrin stille Wohnung“ (HKA, S. 44, V. 80-892). Darüber hinaus trifft der Priester-<br />
Onkel auch sämtliche Entscheidungen in Personalangelegenheiten. So obliegt es beispielsweise<br />
ihm, Janthe nach dem nächtlichen Besuch Leanders mit der Aufkündigung des Dienstes zu<br />
bedrohen (vgl. HKA, S. 76, V. 1719-1720).<br />
Aus dieser vielfältigen wirtschaftlichen Abhängigkeit führt <strong>für</strong> Hero freilich kein Weg<br />
hinaus. Der Schritt zurück ins Elternhaus brächte sie aus der ökonomischen Gewalt des Onkels<br />
zurück in jene des Vaters. Auch eine Verbindung mit dem geliebten Leander böte keine<br />
Alternative, denn der junge Mann stammt aus zerrütteten Familienverhältnissen: Seine Mutter<br />
ist tot, über den Verbleib des Vaters ist nichts bekannt, materielle Sicherheit ist ihm fremd.<br />
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