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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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Priester geht es damit nicht um den Schutz seiner Nichte Hero vor öffentlichen Fehltritten,<br />

sondern um die Wahrung seiner religiös begründeten Vorherrschaft und des vermeintlichen<br />

Idylls auf Sestos. Der Anblick der beiden Eindringlinge Naukleros und Leander entfacht den<br />

Zorn des Priesters und offenbart seine Strategie religiöser Repression: „Der Göttin Hain, der<br />

Priesterwohnung Nähe / Betritt kein Mann, kein Fremder ungestraft. / Entlass’ ich euch, verdankt<br />

es meiner Huld. / Ein zweites Mal verfielt ihr dem Gesetze.“ (HKA, S. 40, V. 825-828).<br />

Auch Hero bekommt diesen Druck immer wieder zu spüren. Wenige Augenblicke, bevor das<br />

Fest ihrer Priesterweihe beginnt, mahnt sie der Onkel zu rechtem Verhalten. Zugleich lässt er<br />

hier offen die seine Drohgebärden anklingen, mittels derer er Hero offenbar zu ihrem Entschluss<br />

gedrängt hat:<br />

PRIESTER Zugleich bedenk’ ich wirklich,<br />

Daß heilsam feste Nötigung der Abschluß<br />

Von jedem irdisch wankem, wirrem Tun.<br />

Du wähltest ewig unter Möglichkeiten<br />

Wär’ nicht die Wirklichkeit als Gränzstein hingesetzt.<br />

Die freie Wahl ist schwacher Toren Spielzeug.<br />

Der Tücht’ge sieht in jedem Soll ein Muß<br />

Und Zwang, als erste Pflicht, ist ihm die Wahrheit. (HKA, S. 25, S. 409-416)<br />

Eine weitere Unterdrückungsstrategie des Priesters tritt hier ans Licht: Den Hinweis auf<br />

pflichtbewusstes Verhalten und Wahrheitstreue verbindet er mit dem Zweifel an Heros Fähigkeit<br />

zu eigenständigem Denken. Ohne besondere Subtilität versucht der Priester, das Selbstvertrauen<br />

seiner Nichte zu schwächen: Er traut ihr nicht zu, eine Entscheidung zu treffen („Du<br />

wähltest ewig unter Möglichkeiten“, HKA, S. 25, V. 412) und erinnert sie an die Enge der<br />

Gesellschaftsordnung („die Wirklichkeit als Gränzstein“, HKA, S. 25, V. 413). Dieser psychische<br />

Druck des Onkels hat seine Wirkung nicht verfehlt. Denn als Leander nachts in ihren<br />

Turm eindringt, erfasst Hero alsbald die Furcht vor der drohenden Strafe, über die sie erstaunlich<br />

genau Bescheid weiß:<br />

HERO Die Meder und die Baktrer, fern im Osten,<br />

Sie töten Jene, die, der Sonne Priestrin,<br />

Das Aug auf den geliebten Jüngling warf.<br />

Mein Volk, nicht also mordbegier’gen Sinns,<br />

Es schonet zwar das Leben der Verirrten,<br />

Allein stößt aus sie, und verachtet sie,<br />

Zugleich ihr ganzes Haus und all die Ihren.<br />

Du kannst nicht sein mit Hero, fühlst du wohl.<br />

Drum also geh, und trage was du mußt. (HKA, S. 52, V. 1134-1141)<br />

Hero weiß, dass sie dem berechnenden Onkel unterlegen ist, der sich als ein Meister des Taktierens<br />

und im Wahren des Scheins entpuppt: „Er mißtraut den Menschen – und den Göttern,<br />

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