DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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dann sind wir nicht allzu weit davon entfernt, auch sein Ende herbeizuwünschen.“ 170 Wenngleich<br />
diese Einschätzung überzogen sein mag, so trifft es doch zu, dass Hero keinerlei Zuneigung<br />
mit ihrem Vater verbindet. Dass der Vater jeglichen Einfluss auf Hero verloren hat,<br />
zeigt sich deutlich, wenn Hero ihm offen widerspricht. Seine väterliche Macht aus Heros Kindertagen<br />
hat auf Sestos keine Geltung mehr. Geschickt spielt Hero die Macht des Priester-<br />
Onkels gegen jene des Vaters aus:<br />
VATER […] Und wieder ists auch besser, spricht sie nicht.<br />
Wer Förderliches nicht vermag zu sagen,<br />
Tut klüger, schweigt er völlig. Bruder, nicht?<br />
HERO O guter Ohm, heiß deinen Bruder schweigen,<br />
Daß meine Mutter rede.<br />
PRIESTER Bruder, laß sie!<br />
VATER So sprich; allein –<br />
HERO Nicht so! Nach ihrem Herzen.<br />
Wies ihr gefällt. (HKA, S. 19, V. 255-262)<br />
Doch je deutlicher sich Hero von ihrer Kindheit und dem Elternhaus abgrenzt, desto mehr<br />
muss sie sich freilich dem patriarchal und religiös reglementierten System des Onkels ausliefern:<br />
„In der Bindung an den reinen Dienst sucht das Mädchen die Lösung einer trüben häuslichen<br />
Situation.“ 171 Die Machtfülle des Priester-Onkels entpuppt ist allerdings deutlich größer<br />
als jene von Vater und Bruder. Das übersteigerte Pflichtbewusstsein des Priesters grenzt<br />
an religiösen Wahn:<br />
Er ist das Amt. Er vollstreckt dessen Regeln und Normen, ist Anwalt von Sitte und<br />
Brauch. Er verlangt die Unterordnung unter die Rituale. […] Der Priester wird zum<br />
Funktionär der Religion. So überschaut er in der Folge alles und ist überall dort anzutreffen,<br />
wo es zu dirigieren und die Ordnung um ihrer selbst willen zu wahren gilt. 172<br />
Um diese Ordnung aufrechtzuerhalten, bedient sich der Oberpriester mehrerer Strategien der<br />
Unterdrückung. Diese betreffen vorrangig Hero, tragen aber auch zur Repression Janthes und<br />
der übrigen Dienerinnen sowie des Wachpersonals bei. Eindringlingen tritt der Priester ebenso<br />
aggressiv entgegen – auch sie stellen eine potenzielle Bedrohung der herrschenden Ordnung<br />
dar. Als zentrales Instrument seiner Herrschaftssicherung verwendet der Priester seine<br />
religiöse Macht, indem er sich auf göttliche Gesetze oder Vorgaben beruft. Er tadelt Heros<br />
Verhalten konsequent mit dem Hinweis, dass dies ihres Amtes als Priesterin nicht angemessen<br />
oder unwürdig sei. Hero bleibt nichts anderes übrig, als sich zu fügen: „Im Tempel muß sie<br />
sich den Forderungen der strengen Satzungen des Oberpriesters unterwerfen.“ 173 Doch dem<br />
170 Politzer, Heinz: Franz Grillparzer oder das abgründige Biedermeier, S. 214.<br />
171 Ebd., S. 213-214.<br />
172 Geißler, Rolf: Ein Dichter der letzten Dinge, S. 36.<br />
173 Bachmaier, Helmut: Kommentar zu Des Meeres und der Liebe Wellen. In: HKA, S. 602-603.<br />
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