DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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zu Esther: Deine Mutter, brav wie du […] (HKA, S. 486, V. 23-31)<br />
Doch auch die „brave“ Halbschwester Esther bezieht mitunter gegen Rahel Stellung, anstatt<br />
sich in Loyalität gegenüber der Schwester zu üben. Esther ist es, die Rahel an den König verrät:<br />
„Sie war vor kurzem übermütig noch / Und trotzte, wollte, Herr, dich sehen“ (HKA, S.<br />
496, V. 342-343). Die innerfamiliäre Geringschätzung Rahels wird nicht zuletzt darin sichtbar,<br />
dass der Vater sie nicht bei ihrem Namen nennt, sondern wiederholt als Tochter „deiner<br />
Mutter“ (HKA, S. 485, V. 24) und als „Törin“ (HKA, S. 487, V. 84) bezeichnet. Darüber hinaus<br />
verwendet Isak <strong>für</strong> Rahel mehrmahls das negativ konnotierte Diminutiv „Rahelchen“<br />
(HKA, S. 503, V. 525 und S. 516, V. 850). In deutlichem Gegensatz dazu erwähnt Isak den<br />
Namen seiner Tochter Esther binnen weniger Verse gleich dreimal gänzlich unverändert:<br />
RAHEL Vater, hört doch!<br />
ISAK Nun so bleibe!<br />
Esther komm!<br />
Lassen wir allein die Törin.<br />
Mag der Unrein-Händ’ge kommen,<br />
Sie berühren, mag sie töten!<br />
Hat sie’s selber doch gewollt.<br />
Esther komm!<br />
RAHEL Je, Vater bleibt!<br />
ISAK Immer zu! Komm, Esther, komm! Er geht. (HKA, S. 487-488, V. 82-87)<br />
Rahels Sehnsucht nach erwiderter Liebe richtet sich aufgrund der schlechten Erfahrungen mit<br />
dem zynischen Vater – und wohl auch mit der stets tugendhaften Schwester – nach außen.<br />
Doch neben ihrem Verlangen nach emotionaler Zuwendung verspürt Rahel auch den Drang<br />
nach Wertschätzung und Geltung, die ihr von Vater und Schwester nie gewährt wurden, wenn<br />
sie sich bewusst zur Geliebten des Königs macht:<br />
RAHEL Wenn er [König Alphons, Anm.] kommt und wenn er fragt:<br />
Wer ist dort die schöne Jüdin?<br />
Sag, wie heißt du? – Rahel, Herr!<br />
Isaks Rahel! sprech ich dann,<br />
Und er kneipt mich in die Backen.<br />
Heiße dann die schöne Rahel. (HKA, S. 487, V. 71-76)<br />
Dass Rahel noch auf der Suche nach ihrer Identität ist, belegt die dreimalige Verwendung<br />
ihres eigenen Vornamens (V. 73, V. 74 und V. 76). Mit der unmittelbar darauf folgenden irritierenden<br />
Formulierung „Mag der Neid darob zerplatzen“ (HKA, S. 487, V. 78) eröffnet<br />
Grillparzer mehrere Lesarten: Rahel ersehnt Anerkennung in Form von Neid, der jemanden<br />
zerplatzen lassen möge. Offen bleibt, ob sie dabei an die kühle Königin Eleonore, die tadellose<br />
Schwester Esther oder den geldgierigen Vater Isak denkt.<br />
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