DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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ausübung. Der Oberpriester hat Heros Handlungsspielraum so lange eingeengt, bis sie an dieser<br />
aussichtslosen Unterdrückung zu Grunde geht:<br />
Die Katastrophe, wie sie Grillparzer in Des Meeres und der Liebe Wellen gestaltet, resultiert<br />
nicht aus einem Kampf der Geschlechter, der in einen Akt der endgültigen Unterwerfung,<br />
Domestizierung oder Opferung der Frau durch den Mann mündet, sondern<br />
aus einer äußeren, sich der Liebe entgegenstellenden liebesfeindlichen (Priester-)Welt.<br />
In Des Meeres und der Liebe Wellen schreibt Grillparzer das Scheitern der freien<br />
Selbstverwirklichung einer liebenden Frau ausschließlich einem äußeren, gesellschaftlichen<br />
Repressionssystem zu und nicht einem von Hierarchievorstellungen geprägten<br />
Liebes-Kampf, bei dem die Frau dem Mann schließlich unterliegt. 155<br />
Es sind die gesellschaftlichen Zwänge, die Heros Liebe zu Leander von Beginn an aussichtslos<br />
erscheinen lassen. Dessen ist sich Hero schon beim ersten Zusammentreffen mit Leander<br />
bewusst. Deshalb ruft sie sich ihr Gelübde in Erinnerung:<br />
HERO zu Naukleros:<br />
Ich sagt’ es schon und wiederhol’ es nun:<br />
Niemand der lebt begehr’ um mich zu werben,<br />
Denn gattenlos zu sein heißt mein Dienst.<br />
Noch gestern, wenn ihr kamt, da war ich frei,<br />
Doch heut versprach ichs, und ich halt’ es auch. (HKA, S. 39, V. 785-789)<br />
Dieser Monolog offenbart Heros erste Zweifel an ihrer Entscheidung <strong>für</strong> ein Leben als Priesterin.<br />
Noch versucht Hero, sich auf ihre Lebensregeln einzuschwören. Doch zugleich wird sie<br />
sich ihrer Fremdbestimmtheit bewusst: „Noch gestern, wenn ihr kamt, da war ich frei.“ (V.<br />
788) Diese Feststellung bedeutet, dass sich Hero in ihrer Position als Priesterin „unfrei“ erfährt,<br />
da ihr in dieser Funktion etwas „versagt“ (HKA, S. 39, V. 793) bleibt.<br />
Mit der Positionierung einer jungen Frau in einer hohen religiösen Machtposition<br />
bricht Grillparzer mit den gesellschaftlichen Konventionen seiner Zeit. Hero wird als Priesterin<br />
der Aphrodite mit einer gewissen religiösen Macht ausgestattet, was einem Tabubruch<br />
gleichkommt. Heros Status gewinnt in Verbindung mit einer Beobachtung Helmut Bachmaiers<br />
besondere Bedeutung, der die plausible Ansicht vertritt, dass die Kulthandlungen auf<br />
Sestos deutliche Züge der katholischen Liturgie trügen. 156 Konrad Schaum beschreibt die<br />
Zwänge der Religionsausübung treffend als „orthodox-kirchengesetzliche[…] Verpflichtungen<br />
ihres [Heros, Anm.] zölibatären Priestertums“. 157 Ausgehend von diesen Feststellungen<br />
impliziert Grillparzers Drama zweierlei subtile Kritik: Zum einen wendet er sich mit der<br />
Priesterweihe Heros symbolisch gegen die misogyne Haltung des Katholizismus, zum ande-<br />
155 Janke, Pia: Gescheiterte Authentizität, S. 66.<br />
156 Vgl. Bachmaier, Helmut: Kommentar zu Des Meeres und der Liebe Wellen. In: HKA, S. 601.<br />
157 Schaum, Konrad: Dramatik, Ethik und Tragik bei Grillparzer. In: Zwischen Weimar und <strong>Wien</strong>. Grillparzer –<br />
Ein Innsbrucker Symposion. Hg. v. Sieglinde Klettenhammer. Innsbruck: <strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Germanistik</strong> 1992 (Innsbrucker<br />
Beiträge zur Kultureissenschaft: Germansitische Reihe Bd. 45), S. 51-67, S. 60.<br />
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