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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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Rahel im Rahmen dieser Arbeit bedeutet dies, die Eigenarten dieser Frauenfigur nicht primär<br />

als jüdisch zu subsummieren, sondern als menschlich zu bewerten.<br />

Interpretationsversuche zu Rahels Charakter entfalten sich in der Grillparzer-<br />

Forschung zumeist zwischen zwei diametralen Positionen: Zum einen wurde wiederholt versucht,<br />

Rahel als „Fortschreibung der literarischen Tradition des Typus der dämonischen Verführerin<br />

zu begreifen“, wie Pia Janke anhand mehrerer Beispiele belegt. 192 Dass solche Deutungen<br />

zumeist männlichen Ursprungs sind 193 , verwundert nicht: „Ihre Natur macht Rahel zur<br />

unersättlichen Tyrannin des Genusses […] Was zwischen dem König und der Jüdin vorging,<br />

war, bei aller Täuschung und Enttäuschung, das Spiel des Geschlechts“ 194 , schreibt etwa<br />

Heinz Politzer. Zum anderen erscheint Rahel manchen Interpreten als Inbegriff kindlicher<br />

Naivität: Gerhard Scheit vergleicht ihr Temperament mit der „abendlichen Stimmung kleiner<br />

Kinder, da Übermut und Schläfrigkeit ineinander übergehen“. 195<br />

Freilich lässt sich Rahels Wesen nicht an einer dieser beiden Extrempositionen festmachen,<br />

vielmehr ist es ein schillerndes Mosaik unterschiedlichster Eigenschaften. Ein zentrales<br />

Merkmal Rahels ist ihr entschlossener Wille. So hält sie etwa trotz Warnungen des Vaters<br />

und der Schwester an der Idee fest, den König kennenzulernen: „Ich muß ’mal den König<br />

sehn / Und er mich, ja, ja, er mich“ (HKA, S. 478, V. 69-70). Die gelassene Ignoranz aller<br />

gesellschaftlichen und höfischen Verhaltensregeln ist bezeichnend <strong>für</strong> Rahel. Diesem Charakterzug<br />

Rahels verleiht Grillparzer im Wechselspiel mit der tugendhaften Schwester Esther<br />

scharfe Konturen: Im königlichen Gartenhaus hat Rahel ein Bildnis des Königs entdeckt, das<br />

sie mitzunehmen gedenkt. Während Esther eine mögliche Strafe <strong>für</strong>chtet, überlegt Rahel<br />

schon, wohin das gestohlene Bild am besten passen könnte:<br />

RAHEL kommt zurück mit einem Bild ohne Rahmen:<br />

Hier ist des Königs Bild, gelöst vom Rahmen.<br />

Das nehm ich mit.<br />

ESTHER Treibt wieder dich die Torheit?<br />

Wie oft nicht warnt’ ich dich!<br />

RAHEL Und hab’ ich dir gehorcht?<br />

ESTHER Beim Himmel, nein.<br />

RAHEL Und werd’s auch diesmal nicht.<br />

Das Bild gefällt mir. Sieh es ist so schön,<br />

ich häng’ es in der Stube nächst zum Bette. (HKA, S. 505, V. 567-573)<br />

Esther zeichnet in ihren Schilderungen Rahels durchgängig das Bild eines zwar schlecht erzogenen,<br />

doch ungefährlichen Mädchens: So nennt Esther die Schwester etwa ein „töricht Kind“<br />

192 Janke, Pia: Gescheiterte Authentizität, S. 64.<br />

193 Vgl. ebd.<br />

194 Politzer, Heinz: Franz Grillparzer oder das abgründige Biedermeier, S. 340-341.<br />

195 Scheit, Gerhard: Grillparzer und die deutschen Männer, S. 56.<br />

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