DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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Da muß vor allem denn die Dirne fort. […] (HKA, S. 528, V. 1165-1167)<br />
In den Augen der betrogenen Ehefrau Eleonore und der königlichen Berater ist Rahel nichts<br />
weiter als eine verachtenswerte „Dirne“ (V. 1167). Mit dieser Klassifizierung wird Rahel auf<br />
die unterste Stufe der Gesellschaftsordnung gedrängt. Die Bezeichnung Dirne impliziert die<br />
Unterstellung, dass Rahel ihren Körper wie eine Ware anbietet. Diese Behauptung ermöglicht<br />
wiederum die Degradierung Rahels zu einem Konsumartikel, der ersetzt wird, sobald er verbraucht<br />
ist: Die junge Jüdin verkörpert in den Augen der Vertreter der patriarchalen Ordnung<br />
das „Lustobjekt […], das beim kleinsten Anlaß wieder aufgegeben werden kann wie eine Sache“.<br />
209 Rahels Vater Isak trägt mit seiner Geldgier wesentlich dazu bei, dass seine Tochter<br />
bei Hof ausschließlich als Dirne wahrgenommen wird, etwa wenn er gegenüber Garceran zufrieden<br />
bekundet: „Mein Rahelchen steigt täglich in der Gunst“ (HKA, S. 516, V. 850).<br />
Die Tatsache, dass der König ein außereheliches Verhältnis mit einer Mätresse pflegt,<br />
ist freilich nicht der Grund <strong>für</strong> Rahels Tod. Denn die patriarchale Gesellschaftsordnung sah<br />
auch bei Alphons’ Ahnen offenbar bereitwillig über königliche Affären hinweg. Alphons<br />
selbst berichtet davon: Zwar täuscht er im Gespräch mit einem Diener zunächst Entrüstung<br />
über der Vorfahren „Schwäche niedern Straucheln“ (V. 776) vor, fasst gedanklich allerdings<br />
schon den Plan, es dem Ahnen gleichzutun:<br />
KÖNIG Er hat das Bild [Rahels, Anm.] angeblickt und dann in den Busen gesteckt.<br />
Ist dort nicht seitwärts<br />
Das Schloß Retiro, wo mein Ahn, Don Sancho<br />
Mit einer Maurin, aller Welt verborgen –<br />
DIENER<br />
So ist’s erlauchter Herr.<br />
KÖNIG Wir wollen unsre Ahnen<br />
Nachahmen in der Tapferkeit, dem Wert<br />
Und nicht in ihrer Schwäche niedern Straucheln.<br />
Vor allem gilt es sich erobern selbst<br />
Und dann entgegen feindlichen Erobrern.<br />
Retiro heißt das Schloß? – Was wollt’ ich nur?<br />
Ja so, nur fort! Und sei verschwiegen! Zwar<br />
Du weißt ja nicht. Um so viel besser. Komm!<br />
Mit dem Diener ab. (HKA, S. 513, V. 772-781)<br />
Wie Alphons’ Geliebte Rahel war auch die von Don Sancho verehrte Maurin äußerlich und<br />
konfessionell eine Fremde. Ob auch die Maurin <strong>für</strong> die Affäre mit ihrem Leben bezahlte,<br />
bleibt zwar im Dunkeln, doch es erscheint höchst unwahrscheinlich, da weder der König noch<br />
der Diener dahingehende Hinweise anklingen lassen. Exotische Einflüsse im königlichen<br />
Schlafzimmer reichen offenbar noch nicht <strong>für</strong> einen innenpolitischen Skandal. Das lässt folgenden<br />
Schluss zu: Es sind nicht Rahels Glaube und ihr Aussehen, an denen sich die patriar-<br />
209 Geißler, Rolf: Ein Dichter der letzten Dinge, S. 19.<br />
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