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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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jugendliches Gemüt erweist sich im Laufe dieser schicksalshaften Verstrickungen allerdings<br />

als dem kalten, analytisch-berechnenden Wesen des Priesters weit unterlegen. So gelingt es<br />

Hero nicht, die List des Onkels nach ihrer Liebesnacht mit Leander zu durchschauen (vgl.<br />

HKA, S. 65-66, V. 1449-1490). Wenngleich sich Hero im direkten Gespräch gegen Priester<br />

und Tempelhüter auflehnt, vermag sie es an Hinterhältigkeit nicht mit ihnen aufzunehmen.<br />

Heinz Polizer erklärt Heros Charakter aus „der völlig unverbrauchten, ungeprüften Jugend<br />

dieses Mädchens“ und erkennt an ihr „das Blumenhafte“ 148 . Diese Einschätzung übersieht<br />

allerdings, dass Heros Kindheit maßgeblich zu der Entwicklung ihrer Überzeugungen beigetragen<br />

hat und wohl alles andere als ein geeigneter Nährboden <strong>für</strong> die Entfaltung eines „blumenhaften“<br />

Wesens war. Heros Chancenlosigkeit gegenüber dem Onkel ist demnach keine<br />

Charakterschwäche, die auf ihre „blumenhafte“ Unschuld – und somit auf eine „typisch weibliche“<br />

Fehlleistung – zurückzuführen wäre, sondern viel mehr das Ergebnis mangelnder Lebenserfahrung.<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Grillparzer mit Hero einen überzeugenden,<br />

vielschichtigen, facettenreichen weiblichen Charakter zeigt. Hinter der Maske des<br />

übersteigerten Pflichtbewusstseins wird schnell Heros jugendlich-empfindsames Wesen sichtbar,<br />

das mit kindlicher Naivität allerdings wenig gemeinsam hat. In dieser Frauenfigur vereint<br />

Grillparzer diametrale Eigenschaften: Der Wunsch nach einer selbstbestimmten Lebensführung<br />

trifft auf Empfindsamkeit und das Verlangen, Gefühle offen ausleben zu können. Hero<br />

verkörpert Stolz und Selbstbewusstsein, verfügt dabei aber nicht über die konsequentberechnende<br />

Gefühlskälte, die den Priester kennzeichnet.<br />

3.2.2 Stellung im patriarchalen Gesellschaftsgefüge<br />

Heros Tätigkeit als Priesterin der Aphrodite auf der Insel Sestos wirkt zunächst wie<br />

ein Lebensentwurf, der ein hohes Maß an Selbstbestimmung birgt. Tatsächlich ist das Gegenteil<br />

der Fall. Heros Stellung innerhalb des patriarchalen Gesellschaftsgefüges erweist sich bei<br />

näherer Betrachtung als untergeordnete Position mit wenig Spielraum. Das Leben auf der Insel,<br />

in dem Hero eine Alternative zu einem Leben als Ehefrau sieht, entpuppt sich schließlich<br />

als ein ähnlich unfreies Dasein wie ihre unglückliche Kindheit. Ihrer dunklen Vergangenheit<br />

im Elternhaus ist sich Hero seit Kindertagen bewusst, während sie die Enge des Priesterinnendaseins<br />

erst durch ihre Liebe zu Leander erfährt. Hero bezeichnet jenes Haus, in dem sie<br />

ihre frühen Kinderjahre verbrachte, nicht als „unserer Haus“, sondern sie wahrt emotional wie<br />

verbal die Distanz und spricht von der Wohnung der Eltern lediglich als „ihrem Hause“<br />

148 Politzer, Heinz: Franz Grillparzer oder das abgründige Biedermeier, S. 211.<br />

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