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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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(HKA, S. 548, V. 1754). Hinweise auf Rahels körperliche Attraktivität fehlen in Esthers Berichten.<br />

Dieser Umstand zeigt, dass gerade diese – von Esther zum Schutz der Schwester verschwiegene<br />

– Eigenschaft auf die patriarchale Gesellschaft offenbar besonders bedrohlich<br />

wirkt. Gefahr wittern die Vertreter der patriarchalen Ordnung aber nicht nur in Rahels Erotik,<br />

sondern auch in ihrer Gefühlstiefe: Denn trotz ihrer unbekümmerten Leichtigkeit ist Rahel zu<br />

ehrlichen Emotionen fähig. So ist etwa ihre Zuneigung zu ihrer Halbschwester Esther ebenso<br />

aufrichtig wie dauerhaft:<br />

RAHEL Wär meine Schwester hier! Sie ist besonnen<br />

Und klüger weit als ich; doch fällt der Funke<br />

Von Willen und Entschluß in ihre Brust,<br />

Dann lodert sie in gleichen Flammen auf.<br />

Wär sie ein Mann, sie wär’ ein Held […]. (HKA, S. 520, V. 972-976)<br />

Diese Beschreibung Esthers kennzeichnet zugleich Rahel: Wenn sie die Besonnenheit und<br />

Klugheit der Schwester im Komparativ betont, offenbart sie zugleich, diese Eigenschaften<br />

nicht <strong>für</strong> sich selbst zu beanspruchen. Doch nicht nur <strong>für</strong> Esther, auch <strong>für</strong> den König hegt Rahel<br />

tiefe Gefühle. Gegenüber Esther überdenkt Rahel ihre Beziehung zu Alphons und bekennt<br />

am Ende des vierten Aktes: „Und hab’ ihn, Schwester, wahrhaft doch geliebt“ (HKA, S. 526,<br />

V. 1136). Diesem finalen Bekenntnis aus Rahels Mund ist große Bedeutung zuzumessen:<br />

„Gewiß hat Grillparzer in Rahel kein Idealbild gezeichnet, das wollte er auch nicht, und doch<br />

hat er die widerspruchsvolle ‚Törin‘ geadelt durch ihre letzten Worte, die er sie im Drama<br />

sprechen läßt […].“ 196 Überdies verfügt Rahel über die Fähigkeit zu selbstreflexivem Denken,<br />

wenn sie sich die Endlichkeit der Affäre mit dem König vergegenwärtigt: „Bin ich doch<br />

selbst ein Traum nur einer Nacht“ (HKA, S. 520, V. 979).<br />

Grillparzers Drama birgt neben Belegen <strong>für</strong> Ansätze von Rahels Selbstreflexivität<br />

auch aufschlussreiche Szenen, in denen die junge Jüdin ihre weiblichen Reize oder ihre kindliche<br />

Hilflosigkeit durchaus bewusst einsetzt: Während Rahel sich in einem Moment noch wie<br />

ein schutzsuchendes Kind gebärdet und den König um Hilfe anfleht (vgl. HKA, S. 494 V.<br />

308-312), umschmeichelt sie wenig später Garceran: „Und doch, Herr Garceran, ich hab’<br />

euch lieb / Ihr wißt mit zarten Frauen umzugehn“ (HKA, S. 518, V. 920-921), sagt Rahel und<br />

versucht ungeniert, Garceran Berichte über erotische Abenteuer zu entlocken: „Wie viel habt<br />

ihr Geliebte, nun, gesteht.“ (HKA, S. 519, V. 955). Rahel liebt derart kokette Unterhaltungen,<br />

das Spiel, die Verkleidung und hat eine Vorliebe <strong>für</strong> melodramatische Szenen anstatt eines<br />

vernünftigen, distanzierten Dialogs. Doch Rahel ist alles andere als ein naives Kind, denn<br />

196 Skreb, Zdenko: Rahel. In: Die andere Welt. Aspekte der österreichischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts.<br />

Festschrift <strong>für</strong> Hellmuth Himmel zum 60. Geburtstag. Hg. v. Kurt Bartsch, Dietmar Goltschnigg u. a.<br />

Bern/München: Francke Verlag 1979, S. 97-105, S. 102.<br />

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