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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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3.1.5 Zusammenfassung: Mirza und Gülnare und das biedermeierliche Frauenbild<br />

Grillparzer konstruiert Mirza und Gülnare als Gegenfiguren. Der Abgleich dieser beiden<br />

Figuren mit dem historischen biedermeierlichen Frauenbild führt daher zu zwei diametralen<br />

Ergebnissen. Mirza erfüllt das idealtypische Bild der Biedermeierfrau in allen <strong>für</strong> diese<br />

Arbeit entwickelten Untersuchungsbereichen. 132 Ihre typisierten Charakterzüge spiegeln sich<br />

in ihrer inhaltsleeren Sprache und ihrer passiven Gestik. Mirzas Leben ist von ökonomischen<br />

Zwängen bestimmt, denn nur eine Ehe garantiert ihr Versorgungssicherheit. Die patriarchalen<br />

Machtstrukturen hat Mirza in hohem Grad verinnerlicht, sodass sie an keinen alternativen<br />

Lebensentwurf denken kann. Die Unterdrückungsmechanismen, die Mirzas Leben beeinflussen,<br />

äußern sich deutlich in der Figur Massuds als pater familias, von dem die unumschränkte<br />

Herrschaftsgewalt ausgeht.<br />

Gülnare dagegen trägt ausgeprägte emanzipierte Züge. Sie widerspricht dem biedermeierlichen<br />

Frauenbild durch ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit, ihre egozentrische Sprache<br />

und vor allem durch ihren selbstbewussten Umgang mit den patriarchalen Machtstrukturen.<br />

Verglichen mit Frauenfiguren anderer Grillparzer-Dramen nimmt Gülnare eine Sonderstellung<br />

ein: Grillparzer zeigt Gülnare nicht als entsagende Jungfrau (wie Hero), andererseits<br />

auch nicht als bedrohliche Verführerin (wie Rahel) oder als blind Wütende (wie Medea). Gülnares<br />

Charakter entpuppt sich als vielschichtig und abgründig. Sie ist zwischen Gefühl und<br />

Verstand hin- und hergerissen, sie muss um ihre Autonomie kämpfen. Für das Gelingen dieses<br />

Ringens ist Gülnares Fähigkeit zur Selbstreflexion zentral.<br />

132 Interessante Erkenntnisse bietet in diesem Zusammenhang der Vergleich der Grillparzer’schen Frauenfiguren<br />

mit der Frauengestaltung bei seinen Zeitgenossen Nestroy und Raimund. Beide griffen zumeist auf typenhafte<br />

Frauenfiguren zurück. Vgl. zur Frauendarstellung Nestroys Rett, Barbara: Liebesgeschichten oder Heiratssachen.<br />

Frauen im Leben und Werk Nestroys. In: Nestroyana. Blätter der Internationalen Nestroy-Gesellschaft. H. 3/4<br />

(1982), S. 78-82 sowie Tanzer, Ulrike: Die Demontage des Patriarchats. Vaterbilder und Vater-Tochter-<br />

Beziehungen bei Johann Nestroy. In: Nestroyana. Blätter der internationalen Nestroy-Gesellschaft. H. 3/4<br />

(1998), S. 96-105 und Stammer, Sigrid: Die Frauenrollen in Johann Nestroys Werken. <strong>Wien</strong>, Diplomarbeit 2004.<br />

Vgl. zur Frauendarstellung Raimunds Hein, Jürgen u. Claudia Meyer: Ferdinand Raimund, der Theatermacher an<br />

der <strong>Wien</strong>. Ein Führer durch seine Zauberspiele. Eine Veröffentlichung der Internationalen Nestroy-Gesellschaft.<br />

<strong>Wien</strong>: Lehner 2004 (Quodlibet. Publikationen der Internationalen Nestroy-Gesellschaft Bd. 7) sowie James,<br />

Dorothy: Politics and Morality in the Plays of Ferdinand Raimund. In: The Other Vienna. The Culture of Biedermeier<br />

Austria. Österreichisches Biedermeier in Literatur, Musik, Kunst und Kulturgeschichte. Hg. v. Robert<br />

Pichl u. Clifford A. Bernd unter Mitarbeit v. Margarete Wagner. <strong>Wien</strong>: Lehner 2002 (Sonderpublikation der<br />

Grillparzer-Gesellschaft Bd. 5), S. 197-209.<br />

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