DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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mit der mangelnden Sittlichkeit der jungen Generation. Die absolute Unumstößlichkeit des<br />
patriarchalen Ordnungssystems wird in Manrikes Begründung durch einen Paarreim verdeutlicht<br />
(aa bb cc), mit dem Grillparzer den fünfhebigen Jambus variiert:<br />
MANRIKE Die Kraft war mit der Sitte sonst vereint,<br />
Doch wurden sie in jüngster Zeit sich feind.<br />
Die Kraft blieb bei der Jugend wo sie war,<br />
Die Sitte floh zum altergrauen Haar.<br />
Nehmt meinen Arm. Wie schwankend auch die Schritte:<br />
Die Kraft entfloh, doch treulich hielt die Sitte. (HKA, S. 532, V. 1309-1314)<br />
Dieser Generationenkonflikt um die Machtausübung innerhalb des patriarchalen Gefüges hat<br />
<strong>für</strong> Rahels gesellschaftliche Positionierung wesentliche Folgen: Rahel hofft durch ihre Verbindung<br />
mit dem König nicht nur auf Liebe und gesellschaftliches Ansehen, sondern auch auf<br />
eine stabilere Stellung innerhalb der Gesellschaft. Doch ihre Beziehung zu dem kastilischen<br />
Monarchen bedeutet <strong>für</strong> Rahel in keinerlei Hinsicht eine Verbesserung gegenüber ihrem früheren<br />
Leben. Denn die patriarchalen Normen bieten keinen Raum <strong>für</strong> authentische Weiblichkeit,<br />
wie Rahel sie verkörpert. Der König, der sich von Rahels Wesen vor allem körperlichen<br />
Genuss verspricht, erweist sich innerhalb des männlichen Machtsystems als zu schwach, um<br />
Rahel vor dem Tod zu bewahren: Obwohl Rahel eine Verbindung mit dem scheinbar mächtigsten<br />
Mann dieser Gesellschaftsordnung eingeht, wird sie getötet. Alphons, dem ersten Repräsentanten<br />
des christlich-patriarchalen Herrschaftssystems, sind die Zügel – die er möglicherweise<br />
nie wirklich in der Hand hielt – gänzlich entglitten.<br />
Die patriarchale Gesellschaftsordnung und ihre Werte werden am konsequentesten von<br />
Manrike verkörpert, der die Staatsräson zur Grundlage seines Handelns macht. Nach Rahels<br />
Tod versucht freilich auch König Alphons, diesem Wertesystem wieder zu entsprechen. In der<br />
Schlussszene lässt Alphons seinen Sohn, den Kronprinzen, auf den königlichen Schild heben.<br />
In diesem Bild erkennt Hans Höller einen „Kreislauf, in den der Schluß der Jüdin von Toledo<br />
einmündet, wenn nun der König das Kind in eine Kriegsordnung hineinstellt, so wie er einst<br />
selbst in seiner Kinderzeit in die soldatische Ordnung hineingezwungen worden war […]“. 215<br />
Dieser Dramenschluss mit seiner deutlichen Perpetuierung der patriarchalen Machtstrukturen<br />
deutet an, dass eine Frauenfigur wie Rahel in diesem System von Beginn an zum Scheitern<br />
verurteilt sein musste. Das individuelle Verhalten des Königs verliert damit <strong>für</strong> das Schicksal<br />
Rahels an Gewicht. Denn angesichts der unüberwindbaren patriarchalen Wertordnung sind es<br />
nicht primär Alphons’ Entscheidungsschwäche und seine mangelnde Führungsqualität, die<br />
215 Höller, Hans: Zur Aktualität von Grillparzers Dramen-Sprache. In: Stichwort Grillparzer. Hg.v. Hilde Haider-<br />
Pregler u. Evelyn Deutsch-Schreiner. <strong>Wien</strong> u. a.: Böhlau 1994, S. 59-70, S. 65.<br />
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