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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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3.3.4 Ökonomische Positionierung<br />

Rahel lebt in sicheren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wie Grillparzer im ersten<br />

Akt deutlich macht (vgl. HKA, S. 485-486, V. 24-40). Das junge Mädchen verfügt über eigenes<br />

Vermögen in Form von Schmuck, kostbarem Tuch und Geld, auf das die übrigen Familienmitglieder<br />

keinen Zugriff haben. Die verstorbene reiche Mutter Rahels hat ihr gesamtes<br />

Vermögen offenbar allein der Tochter vermacht, was geldgierigen Vater Isak Ärger versetzt:<br />

RAHEL singend: Bin ich nicht schön,<br />

Bin ich nicht reich?<br />

Und sie ärgern sich,<br />

Und mich kümmert’s nicht. La la la la.<br />

ISAK<br />

So geht sie auf reichen Schuhen;<br />

Nützt sie ab, frägt nichts darnach,<br />

Jeder Schritt gilt einen Dreier.<br />

Hat ihm Ohr ihr reich Geschmeide,<br />

Kommt ein Dieb und nimmt ihr’s ab,<br />

Fällt’s in Busch, wer findet’s wieder? (HKA, S. 486, V. 41-50)<br />

Doch anders als von Vater und Schwester dargestellt, erweist sich Rahel im Umgang mit ihren<br />

Habseligkeiten alles andere als ungeschickt. Vielmehr provoziert sie den Vater und die<br />

Schwester bewusst, indem sie vorgibt, einen Ohrring ins Gebüsch geworfen zu haben (vgl.<br />

HKA, S. 487, V. 55-57). Angesichts der Aufregung es Vaters zeigt sich Rahel amüsiert:<br />

„Glaubst du denn, ich sei so töricht / Und verschleuderte das Gut?“ (HKA, S. 487, V. 60-61).<br />

Diese Äußerung zeigt, dass Rahel „sehr wohl in der Lage ist, materielle Werte einzuschätzen“.<br />

220 Wenig später bittet sie den König um ihr Leben und bietet ihm da<strong>für</strong> neben verschiedenen<br />

Schmuckstücken auch ein Tuch an, von dem sie den Preis noch genau kennt: „Der Vater<br />

hat’s gekauft um vierzig Pfund, / Echt indisches Geweb, ich geb’ es hin“ (HKA, S. 495, V.<br />

317-318). Rahels ökonomische Unabhängigkeit führt demnach keineswegs zu einem kindlichverschwenderischen<br />

Umgang mit ökonomischen Ressourcen. Vielmehr bildet Rahels wirtschaftliche<br />

Selbstbestimmtheit die Basis <strong>für</strong> ihre bewusste Entscheidung, sich dem sozialen<br />

und materiellen Druck der patriarchalen Gesellschaft durch Missachtung der Konventionen zu<br />

entziehen. Somit stellt Rahels ökonomische Unabhängigkeit einen wesentlichen Quell <strong>für</strong> ihre<br />

authentische Selbstbestimmtheit innerhalb des patriarchalen Herrschaftssystems dar:<br />

Rahel definiert sich selbst und wird auch von ihrem Vater ganz durch die Abstammung<br />

von der extravaganten, sinnlichen und reichen Mutter definiert, die ihrer Tochter<br />

das Vermögen und, wie es scheint, auch die entscheidenden Charakterzüge vererbt hat.<br />

Esther dagegen scheint ihrer tugendhaften, besitzlosen Mutter nachgeraten zu sein. Es<br />

steht dem Leser offen, die drastisch verschiedenen Charaktereigenschaften von den<br />

ökonomischen Voraussetzungen her zu interpretieren – Rahel als Kind des Luxus und<br />

220 Hagl-Catling, Karin: Für eine Imagologie der Geschlechter, S. 249.<br />

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