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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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KÖNIG<br />

Eilt ihnen nach.<br />

im Auftreten:<br />

Laßt näher nur das Volk! Es stört mich nicht […]. (HKA, S. 488, V. 88-94)<br />

Grillparzer verdeutlicht die religiöse Differenz zwischen Rahels jüdischer Familie und dem<br />

christlichen Hofstaat somit zunächst auch durch das unterschiedliche Versmaß. Als sich die<br />

sprachliche Interaktion der drei Juden nach außen richtet, passen sich ihre Äußerungen dem<br />

Schema des Blankverses an. Durch diese metrische Assimilation stellt Grillparzer seine<br />

christlichen und seine jüdischen Charaktere auf eine Stufe. 186 Grillparzer verzichtet nach dem<br />

ersten Akt nahezu gänzlich darauf, die jüdische Herkunft Rahels zu thematisieren. 187 Diese<br />

Tatsache lässt den Schluss zu, dass Rahels jüdischer Glaube nicht in kausalem Zusammenhang<br />

mit ihrem Schicksal steht:<br />

[…] Bei Grillparzer [sind] jüdische Gestalten nicht einfach gut oder böse, verächtlich<br />

oder edel, sondern haben dieselben Schwächen und Stärken wie ihre christlichen Gegenspieler.<br />

Da Grillparzer der Stellung der Frau in beiden Dramen [in der Jüdin und<br />

Esther, Anm.] besondere Beachtung schenkt, verweist er auf parallele patriarchalische<br />

Strukturen im Judentum wie im Christentum und auf deren Konsequenzen <strong>für</strong> das<br />

nach Selbstverwirklichung strebende Individuum in beiden Gruppen. 188<br />

Dagmar C. G. Lorenz argumentiert schlüssig, dass Rahels Charakter demnach nicht typenhaft<br />

jüdisch gezeichnet sei. Dennoch räumt sie ein, dass Grillparzer mitunter in die Reproduktion<br />

von Stereotypen verfalle – etwa, wenn er seiner Hauptfigur Züge verleiht, die an typisierendantisemitische<br />

Imaginationen jüdischer Frauen erinnern: „Rahel verkörpert das mit verbotenen<br />

Lastern und sexueller Erfüllung assoziierte Stereotyp der schönen Jüdin.“ 189 Lorenz räumt<br />

freilich ein, dass diese optischen Merkmale auch auf Marie von Smolenitz zuträfen und somit<br />

zugleich biographisch erklärbar seien. 190 Dennoch greift Grillparzer mitunter tatsächlich antisemitische<br />

Vorurteile auf: So ist etwa Rahels Vater Isak zweifellos jene Grillparzer-Figur, die<br />

am deutlichsten mit antijüdischen Klischees beladen ist (vgl. HKA, S. 516, V. 850 und S. 525,<br />

V. 1118-1132). In diesem Zusammenhang belegt Lorenz, dass „Grillparzers Haltung gegenüber<br />

Juden durchgängig ambivalent war.“ 191 Eine Bewertung Rahels als biedermeierliche<br />

Imagination einer typisch jüdischen Frauenfigur griffe demnach zu kurz. Für die Analyse der<br />

186 Der Sonderstatus Rahels als Jüdin ist nicht der zentrale Gegenstand dieser Arbeit. Eine aufschlussreiche Zusammenstellung<br />

von Grillparzers Charakterisierung jüdischer Figuren gibt Lorenz, Dagmar C. G.: Die Darstellung<br />

jüdischer Gestalten bei Grillparzer. In: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft. Hg. v. Robert Pichl u. Margarete<br />

Wagner unter Mitarbeit von Florian Hochwarter. 3. Folge. Bd. 21 (2003-2006). <strong>Wien</strong>: Verlag Lehner 2006,<br />

S. 7-31. Dort heißt es: „Die jüdischen Charaktere in Grillparzers ‚historischem Trauerspiel‘ Die Jüdin von Toledo<br />

[…] liefern einen bedeutenden Beitrag zum literarischen Diskurs über Juden und Nichtjuden. Zum Teil reproduzieren,<br />

zum Teil kritisieren sie hergebrachte Stereotypen und Klischees.“ (Ebd., S. 13).<br />

187 Vgl. Politzer, Heinz: Franz Grillparzer oder das abgründige Biedermeier, S. 337.<br />

188 Ebd., S. 10.<br />

189 Ebd., S. 16.<br />

190 Vgl. Ebd., S. 16-17.<br />

191 Ebd., S. 17-18.<br />

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