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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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O, ich weiß wohl eine Zeit,<br />

Wo er sanft war, fromm und mild,<br />

Wo er stundenlange saß<br />

Auf dem Grund zu meinen Füßen,<br />

Bald des Hauses Arbeit teilend,<br />

Bald ein Märchen mir erzählend,<br />

Bald – o glaubt mir, lieber Vater,<br />

Er war damals sanft und gut.<br />

Hat seither sich verändert,<br />

Ei, er kann sich wieder ändern<br />

Und er wirds, gewiß er wirds. (HKA, S. 100, V. 106-118)<br />

Nicht nur durch ihre sprachlichen Äußerungen bleibt Mirza blass. Grillparzer verzichtet darüber<br />

hinaus über weite Strecken darauf, Mirza mittels indirekter Figurencharakterisierung<br />

näher zu bestimmen. Niemand fühlt sich bemüßigt, herausragende Eigenschaften Mirzas hervorzuheben.<br />

Die Vermutung drängt sich auf, dass sie keine besitzt. Dies verweist auf einen<br />

weiteren typisierten biedermeierlichen Charakterzug Mirzas: Sie ist geprägt von „Unauffälligkeit<br />

[…], die in dem Mittelmaß des genormten Daseins, wie es die Patriarchie [sic] diktiert,<br />

zu finden ist.“ 113<br />

Da der Text direkt wie indirekt nur sehr spärlich über Mirzas körperliche Merkmale<br />

und Eigenschaften berichtet, gewinnen ihre nonverbalen Botschaften an Bedeutung. Grillparzer<br />

schreibt Mirzas Körpersprache in seinen Regieanweisungen vergleichsweise genau vor:<br />

„Mirza mit im Schoße liegenden Händen vor der Hütte ihres Vaters sitzend“ (HKA, S. 158,<br />

Regieanweisung nach V. 1788) heißt es im dritten Aufzug. Diese Geste verkörpert den Inbegriff<br />

weiblicher Passivität, wie sie auch die Biedermeiermaler gerne abbildeten. In ähnlicher<br />

Weise wird Mirza in der Eröffnungsszene zum kompositorischen Bestandteil der Idylle: Mirza<br />

setzt sich in der Abendsonne auf die Hausbank „Und die Vögel aus den Zweigen, / Wie<br />

beschwingte Silberglöckchen, / Läuten aus den Feierabend“ (HKA, S. 98, V. 40-41). Diese<br />

pittoreske Umgebung überträgt sich auf Mirza, die im lauten Selbstgespräch tagträumend wie<br />

ein zwitscherndes Vögelchen auf der Hausbank sitzt und in ungeduldiger Vorfreude auf die<br />

Heimkehr des Geliebten wartet.<br />

Um Rustans Gefühlswelt ist es dagegen gänzlich anders bestellt. Die Idylle scheint ihn<br />

zu ersticken: „Seht, mich duldets hier nicht länger. / Diese Ruhe, diese Stile, / Lastend drückt<br />

sie meine Brust. / Ich muß fort, ich muß hinaus“ (HKA, S. 113, V. 532-535). Einmal aus<br />

Massuds enger Hütte ausgebrochen, verschwendet Rustan kaum einen Gedanken an seine<br />

Cousine Mirza. Wenn sie in Rustans Traumabenteuer auftaucht, dann geschieht dies ausschließlich<br />

in funktionalisierten Rollen von Weiblichkeit, wie beispielsweise der Sexualität.<br />

113 Lorenz, Dagmar C. G.: Frau und Weiblichkeit bei Grillparzer, S. 207.<br />

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