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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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„nicht nur in materieller, sondern auch in menschlicher Hinsicht verfügt Rahel über ein ausgezeichnetes<br />

Urteilsvermögen“. 197 Dessen ungeachtet bezeichnet der König Rahel dennoch<br />

gerne als Kind:<br />

RAHEL<br />

Die Kissen in der Laube heftig unter einander werfend:<br />

Nein, nein, nein, nein! […]<br />

KÖNIG lachend […] Garceran erblickend:<br />

Ah Garceran! Sieh nur, sie ist ein Kind.<br />

GARCERAN<br />

KÖNIG<br />

Ein sehr verwöhntes, scheint’s.<br />

So sind sie Alle.<br />

Es steht ihr wohl. (HKA, S. 518, V. 897-902)<br />

Der König imaginiert Rahel als Kind, denn als solches ließe sich seine Geliebte bis zu einem<br />

gewissen Grad erziehen, formen und kontrollieren. Doch an Rahels Temperament scheiterte<br />

offensichtlich schon der Vater Isak in der frühen Kindheit des Mädchens. 198 Isak empfindet<br />

Rahels aufmüpfiges Wesen als Strafe Gottes:<br />

ISAK Bleib zurück, geh nicht in’ Garten! […]<br />

Hörst du nicht denn?<br />

RAHEL Ei, wohl hör’ ich.<br />

ISAK Nun, und weichst nicht?<br />

RAHEL Hör’, und weiche doch nicht.<br />

ISAK Je, je, je! Was sucht mich Gott?<br />

Gab doch meinen Deut den Armen,<br />

Hab gebetet und gefastet,<br />

Weiß nicht wie Verbotnes schmecket,<br />

Je, und dennoch sucht mich Gott! (HKA, S. 485, V. 1-13)<br />

Doch Rahel ist weder ein ungezogenes Kind noch eine dämonische Verführerin, sondern<br />

vielmehr „eine Frau, die mit sich selbst identisch ist und, indem sie einzig ihrem Wollen lebt<br />

und keine Verpflichtung darüber hinaus kennt, anarchische, das Gebäude der sittlichen und<br />

staatlichen Ordnung sprengende Kräfte freisetzt.“ 199<br />

Karin Hagl-Catling betrachtet Rahels authentische Gefühlsausbrüche jenseits aller<br />

gesellschaftlichen Konventionen von einer Metaebene und deutet sie als bewusst eingesetzte<br />

Strategien Rahels zur Erfahrung der eigenen Persönlichkeit: „Durch den mimetischen Prozeß<br />

von Rollenübernahme, -tausch und -distanz schafft sie sich Identitätsspielräume zur Relokalisierung<br />

ihrer Persönlichkeit, die schließlich in eine traumhafte Selbsterfahrung münden.“ 200<br />

Es bleibt zweifelhaft, ob Rahel ihr inkongruentes Verhalten tatsächlich zum Zweck der<br />

Selbsterfahrung vollzieht. Plausibler erscheint die Erklärung Pia Jankes, wonach Rahel ihre<br />

197 Hagl-Catling, Karin: Für eine Imagologie der Geschlechter, S. 250.<br />

198 Parallel zu den Biographien Heros und Mirzas/Gülnares bleibt auch im Zusammenhang mit Rahels Kindheit<br />

die Absenz der Mutter ungeklärt.<br />

199 Janke, Pia: Gescheiterte Authentizität, S. 64.<br />

200 Hagl-Catling, Karin: Für eine Imagologie der Geschlechter, S. 258.<br />

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