DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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Traumbild, passt sich der männlichen Hierarchie in ihrem Verhalten an, um darin bestehen zu<br />
können. Ihre Weiblichkeit wird zugunsten der Partizipation am patriarchalen Machtsystem<br />
hintangestellt.<br />
Eine zunächst ähnliche Strategie des Verdrängens von Emotionen verfolgt Hero,<br />
wenngleich mit weitaus weniger Erfolg als Gülnare. Anhand der Figur der Hero zeigt Grillparzer<br />
das Scheitern eines alternativen weiblichen Lebensentwurfes. Die entscheidenden Impulse<br />
zur Zurückdrängung von Heros Lebensmodell, das gesellschaftliche Gleichberechtigung<br />
bei gleichzeitiger Möglichkeit zum Ausleben von Emotionen einfordert, gehen von Heros<br />
Onkel und Oberpriester aus. Diese patriarchale Machtfigur zeichnet Grillparzer als Inbegriff<br />
der überkommenen Normen der Gesellschaft.<br />
Grillparzer gestaltet sein Drama Des Meeres und der Liebe Wellen in Bezug auf die<br />
Frage nach einer gelingenden Gleichberechtigung der Frau mit feiner Ambivalenz. Die überdeutliche<br />
Betonung der negativen Familiengeschichte ist da<strong>für</strong> ein ebenso eindringliches Zeichen<br />
wie genauen Umstände von Heros Berufung zur Priesterin: Denn die Entscheidung zur<br />
Nutzung des familiären Privilegs wird nicht von Hero, sondern von den männlichen Familienangehörigen<br />
getroffen. Obwohl Hero abseits der herablassenden Behandlung durch Vater und<br />
Bruder zunächst glücklich zu sein scheint, täuscht dieser Eindruck, wie Grillparzer bald zeigt:<br />
Heros scheinbar freies Leben gleicht vielmehr einem Dasein unter einem Glassturz, das sich<br />
nur so lange fortführen lässt, wie sie sich als fügsame Dienerin der oberpriesterlichen Befehle<br />
– und damit der gesellschaftlichen Konventionen – erweist. Grillparzer enttarnt Heros emanzipierte<br />
Stellung innerhalb des kultisch-hierarchischen Machtgefüges auf Sestos als Trugbild<br />
und verweist damit auf die Komplexität der realen Bestrebungen zur Gleichstellung der Frau.<br />
Solange die Teilhaber des patriarchalen Gesellschaftsgefüges – in ähnlicher Weise wie der<br />
Oberpriester – nicht dazu bereit sind, Frauen in Positionen auf Augenhöhe zu akzeptieren,<br />
müssen alle weiblichen Anstrengungen zur Erreichung dieses Zieles vergeblich bleiben. Heros<br />
Lebensentwurf, der als Gegenbild zum idealisierten bürgerlichen Lebensmodell der Biedermeierfrau<br />
gedeutet werden kann, misslingt somit nicht aufgrund des listigen Verhaltens<br />
eines individuellen Widersachers. Vielmehr ist dieses Scheitern das Resultat der verkrusteten<br />
Gesellschaftsstrukturen, denen Grillparzer in der Figur des Oberpriesters Leben eingehaucht<br />
hat. Freilich bietet Grillparzer im Zusammenhang mit dieser <strong>für</strong> die Biedermeierzeit weitsichtigen<br />
Erkenntnis keinen Lösungsansatz, wie eine soziale Aufwertung von Weiblichkeit tatsächlich<br />
gelingen könnte. Dennoch gelingt es ihm, mit der Figur der Hero <strong>für</strong> die Frage der<br />
Gleichstellung der Frau zu sensibilisieren.<br />
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