DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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In beeindruckend radikaler Form zeigt Grillparzer die gesellschaftlichen Konsequenzen<br />
<strong>für</strong> unangepasste, offensiv zur Schau getragene Weiblichkeit in der Jüdin von Toledo. Mit<br />
der Wahl einer weiblichen, jüdischen Hauptfigur stellt sich Grillparzer in doppeltem Sinn<br />
gegen die Konventionen seiner Zeit. Eindrucksvoll gestaltet er mit seiner Rahel eine authentische<br />
Frauenfigur, die die Vertreter des patriarchalen Gesellschaftssystems mit ihrem erotischen<br />
Körperbewusstsein ebenso verstört wie mit ihrem anarchischen Verhalten. Mit der Jüdin<br />
von Toledo entblößt Grillparzer die Verwundbarkeit der von christlicher und männlicher<br />
Vorherrschaft geprägten restaurativen Ordnung. Die Konfrontation mit nicht kontrollierter<br />
Weiblichkeit bewirkt bei den männlichen Figuren zunächst Irritation und fördert in weiterer<br />
Folge unterschiedliche Unterdrückungsstrategien zu Tage, um schließlich in Aggression zu<br />
münden.<br />
Grillparzers Betonung der verschiedensten Formen aufmüpfiger Weiblichkeit bedeutet<br />
im Gegenzug eine Reduktion der männlichen Präsenz auf der Bühne. Dies äußert sich weniger<br />
im weiblichen Anteil am Sprechtext als an der Aktivität, die von jeder der Frauenfiguren –<br />
mit Ausnahme von Mirza – weitaus deutlicher ausgeht als von ihren männlichen Widerparts.<br />
Grillparzers Fokussierung auf Frauenfiguren als Handlungsträgerinnen kann als gesellschaftspolitisches<br />
Zeichen gedeutet werden. Vor allem die Passivität des Königs Alphons aus der<br />
Jüdin von Toledo bietet da<strong>für</strong> ein aussagekräftiges Beispiel. Doch auch Leander und Rustan<br />
lassen sich viel eher von Beratern und Zufällen leiten, anstatt selbst die Initiative zu ergreifen.<br />
Grillparzers zentrale Motive im Zusammenhang mit seiner Darstellung von Männlichkeit sind<br />
die Gewalt und der Krieg: Rustan aus Der Traum ein Leben, der Oberpriester aus Des Meeres<br />
und der Liebe Wellen und Manrike aus Der Jüdin von Toledo – sie alle werden zu Mördern.<br />
Doch der Mord als brutalste Form aller Gewaltdemonstrationen ist weniger Ausdruck absoluten<br />
patriarchalen Machtbewusstseins als vielmehr eine verzweifelte Reaktion auf grundlegend<br />
bedrohte Männlichkeit. Diese Erkenntnis wird durch die Tatsache bestätigt, dass Grillparzer<br />
mitunter glatte Umkehrungen der tradierter Geschlechter-Konnotationen vornimmt: Der empfindsam-weinerliche<br />
Leander und der phasenweise schwärmerisch-verliebte König Alphons<br />
sind da<strong>für</strong> ebenso deutliche Beispiele wie die hünenhaft-entschlossene Gülnare und die draufgängerisch-anarchische<br />
Rahel.<br />
Als zentrales Ergebnis der vorliegenden Arbeit lässt sich zusammenfassend festmachen,<br />
dass sich Grillparzer von seinen jungen Jahren bis ins hohe Alter eingehend mit der<br />
Rolle der Frau in der Gesellschaft auseinandersetzt und dieses Thema in verschiedenen Spielarten<br />
in seinen Dramen behandelt. Besonderes Augenmerk legt Grillparzer dabei auf die<br />
ebenso komplexen wie subtilen Mechanismen zur Repression unangepasster Weiblichkeit.<br />
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