Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege
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Hans-Joachim Mader<br />
Welche Bedeutung hat die Vernetzung für den <strong>Artenschutz</strong>?<br />
Landschaftsentwicklung und mögliche Folgen für<br />
Tierpopulationen<br />
Das Eingreifen des Menschen in die Reste natürlicher oder<br />
naturnaher Lebensräume sowie die Gestaltung und Nutzung<br />
des jeweiligen Umfeldes und Hinterlandes bewirken<br />
nach wie vor eine zun ehmende Verinselung der Landschaft.<br />
Dies geschieht unter anderem durch eine Intensivierung der<br />
lsolationswirkung des Raumes auf dem Wege der physischen<br />
Trennung von Lebensgemeinschaften, der Erhöh ung<br />
der abiotischen Schwelle zwischen Lebensräumen und der<br />
Eliminierung von kleinen und kleinsten ungenutzten Raumstrukturen,<br />
die als ökologischer Trittstein oder Refugium<br />
dienen könnten. Hinzu kommt die Verschärfung der Lebensfeindlichkeit<br />
der intensiv genutzten Räume als Matrix fü r<br />
die naturnahen Landschaftsfragmente und die Verarmung<br />
und der Funktionsverlust von Rand- und Pufferzonen (MA<br />
DER 1980):<br />
Dieser zumindest in den dicht bevölkerten Industrienationen<br />
durchgängig beobachtete und hinreichend dokumentierte<br />
Trend gibt Anlaß zur Besorgnis auch hinsichtlich des<br />
<strong>Artenschutz</strong>es. Die Theorie der Inselökologie, die an Meere.<br />
sinseln entwickelt und empirisch abgesichert wurde, und<br />
die ein dynamisches Artengleichgewicht zwischen einwandernden<br />
und aussterbenden Arten postuliert, läßt, sofern<br />
eine Übertragung der Ergebnisse auch auf inselartige Lebensräume<br />
des Festlandes (auf sog. Inselbiotope oder Habitatinseln)<br />
statthaft ist, einen zunehmenden Artenverlust<br />
mit Flächenverringerung oder lsolationsverstärkung erwarten.<br />
Die angedeuteten Landschaftsveränderungen bedeuten in<br />
ihrer Gesamtheit eine zunehmende Aufsplitterung von Tierund<br />
Pflanzenpopulationen in voneinander mit unterschiedlicher<br />
Wirksamkeit auch genetisch getrennte Teileinheiten.<br />
Weder die Inselökologie noch die Populationsökologie und<br />
· Populationsgenetik sind beim derzeitigen Kenntnisstand in<br />
der Lage, endgültige prognostizierende Aussagen oder<br />
schlüssige Modelle hinsichtlich der Entwicklung und Zusammensetzung<br />
des Artenbestandes im Sinne naturwissenschaftlich<br />
fundierter Vorgaben für den <strong>Artenschutz</strong> zu liefern.<br />
Die Anwendungsrelevanz besonders der Theorie der Inselbiogeographie<br />
für den Natur- und <strong>Artenschutz</strong> wird heftig<br />
und kontrovers diskutiert (MADER 1983, LYNCH & WHIG<br />
HAM 1984, DIAMOND & GILPIN 1982, McCOY 1983, WOOL<br />
HOUSE 1983).<br />
Weniger strittig sind die populationsökologischen und genetischen<br />
Konsequenzen einer Isolation oder Aufsplitterun<br />
g in Teilpopulationen in ihren denkbaren Auswirkungen<br />
(MAY 1980, KREBS 1979, FRANKLIN 1980).<br />
Zur Beurteilung der Bedeutung der Vernetzung sollen hier<br />
einige Konsequenzen stichwortartig aufgezählt werden, die<br />
bei einer Zunahme der lsolationswirkung des Raumes und<br />
bei anhaltender Tendenz zur Au fsplitterung von Populationen<br />
in isolierte Fraktionen zu befürchten sind:<br />
Biozönose und Artengemeinschaft betreffend:<br />
Funktionseinbruch von<br />
- Nahrungsbeziehungen<br />
Räuber-Beute-Systemen<br />
Symbiose und Parasitismus<br />
wechselseitige Verhaltensbeeinflussung<br />
einzelne Arten oder den Artenbestand betreffend:<br />
synökologisch raumbedingte Folgen<br />
Ausfall von besonders migrationsfreudigen, nicht flugfähigen<br />
Arten<br />
Ausfall von Arten mit getrennten Jahreslebensräumen<br />
erhöhte Aussterberate durch anthropogene oder natürliche<br />
Umweltkat!istrophen<br />
Bremsung der Arealdynamik vieler Arten<br />
Verlangsamung von Besiedlungsprozessen und Sukzessionsabläufen<br />
genetisch bedingte Folgen<br />
Verarmung der genetischen Vielfalt in den Teilpopulationen<br />
beschleunigte Fixierung von Erbmerkmalen (Trend zur<br />
Homozygot ie) mit lnzuchtfolgen<br />
Beschleunigung der genetischen Di fferenzierung und<br />
Sonderung von Teilpopulationen<br />
erhöhte Aussterberaten durch Fixierung letaler Merkmale<br />
„Engpaß" und „Grü nder"-Effekte durch Veränderung<br />
der Genfrequenzen bei Zufallsfehlern in kleinen Populat<br />
ionen<br />
- Ei nzäunungseffekt {fence-effect) {Wühlmauspopulationen<br />
reagierten bei Einzäunungsexperimenten mit anfänglich<br />
hohen Zuwachsraten, denen ein Populationszusammenbruch<br />
folgte {BOONSTRA & KREBS 1977)).<br />
Im folgenden soll eine Gegenstrategie gegen die zu erwartenden<br />
bzw. zu befürchtenden Auswirkungen der Land·<br />
schaftsverinselung auf den <strong>Artenschutz</strong> vorgestellt und diskutiert<br />
werden, das Konzept der Vernetzung des Raumes.<br />
Dies geschieht im vollen Bewußtsein der in diesem Kontext<br />
noch offenen Fragen verschiedener biologischer Disziplinen.<br />
Zu verstehen ist es als eine Risikobeantwortung und<br />
als Vorschlag für zukunftsorientiertes, vorbeugendes Handeln<br />
aller für Gestaltung und Nutzu ng des Raumes Verantwortlichen.<br />
2 Populationsökologische Überlegungen<br />
2. 1 Populationen und untere Grenzwerte<br />
Die Grundeinheit der ökologischen Vorgänge ist die Population<br />
bzw. die Fortpflanzungsgemeinschaft {REMMERT 1978)<br />
- nicht das Individuum und nicht die Art. Diese einfache<br />
aber ungemein wichtige Grunderkenntnis fehlt häufig im <strong>Artenschutz</strong>handeln.<br />
Eine einseitige, undifferenzierte Orientierung<br />
an den „ Roten Listen'', die populationsökologische<br />
Gesichtspunkte unberü cksichtigt läßt, begünstigt gelegentlich<br />
die Fehleinschätzung, es gehe im <strong>Artenschutz</strong> um konkrete,<br />
unmittelbare Maßnahmen zum Schutz ei ner Tier- oder<br />
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