Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege
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echnet, hat dabei die Zahl der jeweils lebenden Arten stän·<br />
dig zugenommen, es traten mehr neue Arten auf, als alte<br />
ausstarben, und in den meisten Fällen waren die verschwin·<br />
denden die direkten Vorfahren der neuen. Es handelt sich<br />
also nicht eigentlich um Aussterben und Neuentstehung,<br />
sondern um Artumbildung. Gewiß, die Saurier starben aus.<br />
Aber das dauerte rund 30 Millionen Jahre, während derer<br />
aus einigen von ihnen die Vögel und Säugetiere hervorgingen.<br />
Eine einzige Säugetierordnung aber, die Nagetiere,<br />
weist mehr Arten auf, als es jemals Saurierarten gleichzeitig<br />
gegeben hat.<br />
Ausrottungen dagegen vollziehen sich in einem Zeitmaßstab,<br />
der für Ersatz durch neu entstehende Arten keine Zeit<br />
läßt. Dabei ist es gleich, ob die Ausrottung bewußt oder gezielt<br />
geschieht, wie etwa die von Bär und Wolf in Mitteleuropa,<br />
oder ob sie gleichsam unabsichtlich als Begleiterscheinung<br />
menschlicher Tätigkeit auftritt, die auf ganz andere<br />
Ziele gerichtet ist. Niemand hat etwa den Flußkrebs ausrotten<br />
wollen oder den Rheinsalm. Das „passierte" eben.<br />
Nun kann man den Vorgang des sich beschleunigenden Artenverlustes<br />
seit dem Auftreten des Menschen auf der Erde<br />
dahingehend deuten, daß hier eine Art eben gegenüber allen<br />
anderen einen durchschlagenden Wettbewerbsvorteil<br />
errungen habe und daß es also biologisch „falsch" sei, diesen<br />
Vorteil nicht bis zum Letzten auszunutzen.<br />
Das ist im laufe der Erdgeschichte bis zu einem gewissen<br />
Grade und meist geographisch begrenzt auch schon anderen<br />
Arten gelungen. Nach erdgeschichtlich gesehen kurzer<br />
Blütezeit ist ihnen das gar nicht gut bekommen, weil sie<br />
selbst das Netz der Lebensgemeinschaften zerstörten, das<br />
sie mit getragen hatte. „ Der Mensch ist das Leitfossil der<br />
Gegenwart" schrieb der Bonner Paläontologe Gustav<br />
STEIN MANN vor rund hundert Jahren und spielte darauf an,<br />
daß Organismen späterer Zeiten den Menschen nur als Fossil<br />
aus dem jüngeren Tertiär und dem Quartär kennen könnten.<br />
Dem Menschen wäre es gegeben, aus eigener Einsicht<br />
sich so zu verhalten, daß er dieses Schicksal vermeidet.<br />
Wird er es aber auch tun?<br />
Der <strong>Artenschutz</strong> als Forschungszweig ist von Anfang an als<br />
wesentl icher Teil des Naturschutzes begriffen worden. Seine<br />
Aufgaben sind Schutz und Pflege freilebender Tiere und<br />
Pflanzen innerhalb ihres gesamten natürlichen Verbreitungsgebietes,<br />
damit die Artenvielfalt erhalten bleibt und<br />
die weitere Evolution der Arten gesichert ist.<br />
Im einzelnen sind folgende Argumente für den <strong>Artenschutz</strong><br />
anzuführen:<br />
Ethischer Beweggrund<br />
Die Ehrfurcht vor der Natur als Schöpfung ist eines der ältesten<br />
Argumente zur Erhaltung von Fauna und Flora. Alle<br />
Tier- und Pflanzenarten des Ökosystems Erde haben das<br />
Recht zu leben - genau wie der Mensch auch; die Arten sollen<br />
um ihrer selbst willen erhalten werden.<br />
- Verantwortung für kommende Generationen<br />
Die Verantwortung für künftige Generationen gebietet, keine<br />
irreversiblen Veränderungen auf der Erde zu schaffen<br />
oder zuzulassen. Das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten<br />
aber ist irreversibel; es kann auch das vorzeitige Aussterben<br />
des Menschen selbst nach sich ziehen.<br />
Emotionaler Beweggrund<br />
Die Bedeutung der Natur für die psychisch-emotionalen Bedürfnisse<br />
des Menschen wird stark unterschätzt. Der<br />
Mensch hat sich jahrmillionenlang im Kontakt mit Tieren<br />
und Pflanzen entwickelt. Es ist fraglich, ob er sich an eine<br />
biologisch verarmte Plastikwelt schadlos anpassen kann.<br />
Erhaltung von Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur<br />
und Landschaft<br />
Artenvielfalt ist die Voraussetzung für das äußere Erscheinungsbild<br />
einer Landschaft (jahreszeitliche Ausprägung der<br />
Vegetation, Blütenaspekte, Farben, jahreszeitlich gesteuerte<br />
Aktivität von Tieren wie Vogelzug und Lautäußerungen),<br />
für die Charakteristik des Landschaftsbildes und für die<br />
sinnliche und akustische Wahrnehmung der Natur. Artenvielfalt<br />
in der hier angesprochenen Form ist Grundlage für<br />
die Entwicklung eines Heimatgefühls bei vielen Menschen,<br />
das zum Motiv für den Schutz werden kann. Die Freude am<br />
Erleben der freien Natur gehört für viele Menschen zu den<br />
Grundbedürfnissen ihres Wohlbefindens; Erholungsaufenthalte<br />
in naturnahen Landschaften haben nach Auffassung<br />
vieler Ärzte große Bedeutung zur Wiederherstellung des<br />
psych ischen und physischen Gleichgewichts.<br />
Erhaltung der genetischen Vielfalt<br />
Jede Art stellt eine einmalige, unwiederbringliche Kombination<br />
von genetischen Informationen dar, die im laufe der<br />
langandauernden Evolution durch Mutation und Selektion<br />
(Anpassungsdruck) entstanden ist. Zukünftige evolutive An·<br />
passungsmöglichkeiten von Arten werden durch Ausrottung<br />
von Arten und Veränderung der Umweltbedingungen<br />
verhindert. Die Erhaltung der genetischen Vielfalt von<br />
Fauna und Flora ist für den Menschen besonders wichtig;<br />
das gilt z. B. für die Herstellung und Entwicklung pharmazeutischer<br />
Produkte, aber auch für die Sorten- bzw. Rassenund<br />
Resistenzzüchtung von Pflanzen und Tieren. So ist die<br />
heilende Wirkung zahlreicher Pflanzenarten bestätigt worden,<br />
und die Forschung erwartet hier weitere Erkenntnisse.<br />
In der Landwirtschaft spielt die Resistenzzüchtung und Erbgutauffrischung<br />
(d. h. die Kreuzung empfindlich gewordener<br />
Arten mit „wilden" Arten) bei vielen Getreidearten inzwischen<br />
eine große Rolle. Auch die biologische Schädlingsbekämpfung<br />
ist ohne Wildarten nicht denkbar.<br />
Erhaltung bisher unbekannter Nutzungsmöglichkeiten<br />
Nur ein Bruchteil der Arten ist bis jetzt auch hinsichtlich ihres<br />
Nutzens für den Menschen erforscht worden. Die Erhaltung<br />
von Tier- und Pflanzenarten in ihren natürlichen Verbreitungsgebieten<br />
ist daher einmal aus wissenschaftlichen<br />
Gründen wichtig, um weitere noch offene Fragen der ökologischen<br />
Grundlagenforschung zu klären . Zum anderen<br />
könnten bisher nicht erforschte Pflanzenarten z. B. als zusätzliche<br />
Nahrungsquelle bedeutsam werden oder auch zur<br />
biotechn ischen Energiegewinnung beitragen. Durch die bewußte<br />
oder unbewußte Ausrottung von Arten läuft man Gefahr,<br />
hier ein immenses Potential zu verschleudern.<br />
Erhaltung der Funktion ökologischer Systeme<br />
Die Nutz· und Schutzwirkungen von Natur und Landschaft<br />
hängen direkt oder indirekt von den Arten ab. Sie lenken die<br />
Stoffkreisläufe und die Energieflüsse, sie bauen Ökosysteme<br />
auf und halten sie stabil, und sie dienen als Nahrungsgrundlage<br />
des Menschen. Dabei hat jede Art ihren bestimmten<br />
Platz im Gesamtsystem, und der Verlust kann weit·<br />
reichende Folgen haben.<br />
Arten dienen als Bioindikatoren (Zeiger), indem sie durch ihr<br />
Vorkommen oder ihr Fehlen bestimmte Umweltverhältnisse<br />
anzeigen (z. B. Stickstoffreichtum, Feuchtigkeit, Wasseroder<br />
Luftverschmutzung).<br />
Erhaltung von kulturellen und ästhetischen Wert en<br />
Durch die „ lnkulturnahme" und frühere Formen der bäuerlichen<br />
Landnutzung ist die Naturlandschaft Mitteleuropas<br />
beträchtlich an Arten, Lebensgemeinschaften und Biotopen<br />
bereichert worden. Es entstanden „Kulturlandschaften", deren<br />
fruchtbare Felder und Wiesen wie auch die kleinen Reste<br />
naturnaher Ökosysteme zu überlieferungswürdigen Kul-<br />
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