27.04.2014 Aufrufe

Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege

Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege

Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

echnet, hat dabei die Zahl der jeweils lebenden Arten stän·<br />

dig zugenommen, es traten mehr neue Arten auf, als alte<br />

ausstarben, und in den meisten Fällen waren die verschwin·<br />

denden die direkten Vorfahren der neuen. Es handelt sich<br />

also nicht eigentlich um Aussterben und Neuentstehung,<br />

sondern um Artumbildung. Gewiß, die Saurier starben aus.<br />

Aber das dauerte rund 30 Millionen Jahre, während derer<br />

aus einigen von ihnen die Vögel und Säugetiere hervorgingen.<br />

Eine einzige Säugetierordnung aber, die Nagetiere,<br />

weist mehr Arten auf, als es jemals Saurierarten gleichzeitig<br />

gegeben hat.<br />

Ausrottungen dagegen vollziehen sich in einem Zeitmaßstab,<br />

der für Ersatz durch neu entstehende Arten keine Zeit<br />

läßt. Dabei ist es gleich, ob die Ausrottung bewußt oder gezielt<br />

geschieht, wie etwa die von Bär und Wolf in Mitteleuropa,<br />

oder ob sie gleichsam unabsichtlich als Begleiterscheinung<br />

menschlicher Tätigkeit auftritt, die auf ganz andere<br />

Ziele gerichtet ist. Niemand hat etwa den Flußkrebs ausrotten<br />

wollen oder den Rheinsalm. Das „passierte" eben.<br />

Nun kann man den Vorgang des sich beschleunigenden Artenverlustes<br />

seit dem Auftreten des Menschen auf der Erde<br />

dahingehend deuten, daß hier eine Art eben gegenüber allen<br />

anderen einen durchschlagenden Wettbewerbsvorteil<br />

errungen habe und daß es also biologisch „falsch" sei, diesen<br />

Vorteil nicht bis zum Letzten auszunutzen.<br />

Das ist im laufe der Erdgeschichte bis zu einem gewissen<br />

Grade und meist geographisch begrenzt auch schon anderen<br />

Arten gelungen. Nach erdgeschichtlich gesehen kurzer<br />

Blütezeit ist ihnen das gar nicht gut bekommen, weil sie<br />

selbst das Netz der Lebensgemeinschaften zerstörten, das<br />

sie mit getragen hatte. „ Der Mensch ist das Leitfossil der<br />

Gegenwart" schrieb der Bonner Paläontologe Gustav<br />

STEIN MANN vor rund hundert Jahren und spielte darauf an,<br />

daß Organismen späterer Zeiten den Menschen nur als Fossil<br />

aus dem jüngeren Tertiär und dem Quartär kennen könnten.<br />

Dem Menschen wäre es gegeben, aus eigener Einsicht<br />

sich so zu verhalten, daß er dieses Schicksal vermeidet.<br />

Wird er es aber auch tun?<br />

Der <strong>Artenschutz</strong> als Forschungszweig ist von Anfang an als<br />

wesentl icher Teil des Naturschutzes begriffen worden. Seine<br />

Aufgaben sind Schutz und Pflege freilebender Tiere und<br />

Pflanzen innerhalb ihres gesamten natürlichen Verbreitungsgebietes,<br />

damit die Artenvielfalt erhalten bleibt und<br />

die weitere Evolution der Arten gesichert ist.<br />

Im einzelnen sind folgende Argumente für den <strong>Artenschutz</strong><br />

anzuführen:<br />

Ethischer Beweggrund<br />

Die Ehrfurcht vor der Natur als Schöpfung ist eines der ältesten<br />

Argumente zur Erhaltung von Fauna und Flora. Alle<br />

Tier- und Pflanzenarten des Ökosystems Erde haben das<br />

Recht zu leben - genau wie der Mensch auch; die Arten sollen<br />

um ihrer selbst willen erhalten werden.<br />

- Verantwortung für kommende Generationen<br />

Die Verantwortung für künftige Generationen gebietet, keine<br />

irreversiblen Veränderungen auf der Erde zu schaffen<br />

oder zuzulassen. Das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten<br />

aber ist irreversibel; es kann auch das vorzeitige Aussterben<br />

des Menschen selbst nach sich ziehen.<br />

Emotionaler Beweggrund<br />

Die Bedeutung der Natur für die psychisch-emotionalen Bedürfnisse<br />

des Menschen wird stark unterschätzt. Der<br />

Mensch hat sich jahrmillionenlang im Kontakt mit Tieren<br />

und Pflanzen entwickelt. Es ist fraglich, ob er sich an eine<br />

biologisch verarmte Plastikwelt schadlos anpassen kann.<br />

Erhaltung von Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur<br />

und Landschaft<br />

Artenvielfalt ist die Voraussetzung für das äußere Erscheinungsbild<br />

einer Landschaft (jahreszeitliche Ausprägung der<br />

Vegetation, Blütenaspekte, Farben, jahreszeitlich gesteuerte<br />

Aktivität von Tieren wie Vogelzug und Lautäußerungen),<br />

für die Charakteristik des Landschaftsbildes und für die<br />

sinnliche und akustische Wahrnehmung der Natur. Artenvielfalt<br />

in der hier angesprochenen Form ist Grundlage für<br />

die Entwicklung eines Heimatgefühls bei vielen Menschen,<br />

das zum Motiv für den Schutz werden kann. Die Freude am<br />

Erleben der freien Natur gehört für viele Menschen zu den<br />

Grundbedürfnissen ihres Wohlbefindens; Erholungsaufenthalte<br />

in naturnahen Landschaften haben nach Auffassung<br />

vieler Ärzte große Bedeutung zur Wiederherstellung des<br />

psych ischen und physischen Gleichgewichts.<br />

Erhaltung der genetischen Vielfalt<br />

Jede Art stellt eine einmalige, unwiederbringliche Kombination<br />

von genetischen Informationen dar, die im laufe der<br />

langandauernden Evolution durch Mutation und Selektion<br />

(Anpassungsdruck) entstanden ist. Zukünftige evolutive An·<br />

passungsmöglichkeiten von Arten werden durch Ausrottung<br />

von Arten und Veränderung der Umweltbedingungen<br />

verhindert. Die Erhaltung der genetischen Vielfalt von<br />

Fauna und Flora ist für den Menschen besonders wichtig;<br />

das gilt z. B. für die Herstellung und Entwicklung pharmazeutischer<br />

Produkte, aber auch für die Sorten- bzw. Rassenund<br />

Resistenzzüchtung von Pflanzen und Tieren. So ist die<br />

heilende Wirkung zahlreicher Pflanzenarten bestätigt worden,<br />

und die Forschung erwartet hier weitere Erkenntnisse.<br />

In der Landwirtschaft spielt die Resistenzzüchtung und Erbgutauffrischung<br />

(d. h. die Kreuzung empfindlich gewordener<br />

Arten mit „wilden" Arten) bei vielen Getreidearten inzwischen<br />

eine große Rolle. Auch die biologische Schädlingsbekämpfung<br />

ist ohne Wildarten nicht denkbar.<br />

Erhaltung bisher unbekannter Nutzungsmöglichkeiten<br />

Nur ein Bruchteil der Arten ist bis jetzt auch hinsichtlich ihres<br />

Nutzens für den Menschen erforscht worden. Die Erhaltung<br />

von Tier- und Pflanzenarten in ihren natürlichen Verbreitungsgebieten<br />

ist daher einmal aus wissenschaftlichen<br />

Gründen wichtig, um weitere noch offene Fragen der ökologischen<br />

Grundlagenforschung zu klären . Zum anderen<br />

könnten bisher nicht erforschte Pflanzenarten z. B. als zusätzliche<br />

Nahrungsquelle bedeutsam werden oder auch zur<br />

biotechn ischen Energiegewinnung beitragen. Durch die bewußte<br />

oder unbewußte Ausrottung von Arten läuft man Gefahr,<br />

hier ein immenses Potential zu verschleudern.<br />

Erhaltung der Funktion ökologischer Systeme<br />

Die Nutz· und Schutzwirkungen von Natur und Landschaft<br />

hängen direkt oder indirekt von den Arten ab. Sie lenken die<br />

Stoffkreisläufe und die Energieflüsse, sie bauen Ökosysteme<br />

auf und halten sie stabil, und sie dienen als Nahrungsgrundlage<br />

des Menschen. Dabei hat jede Art ihren bestimmten<br />

Platz im Gesamtsystem, und der Verlust kann weit·<br />

reichende Folgen haben.<br />

Arten dienen als Bioindikatoren (Zeiger), indem sie durch ihr<br />

Vorkommen oder ihr Fehlen bestimmte Umweltverhältnisse<br />

anzeigen (z. B. Stickstoffreichtum, Feuchtigkeit, Wasseroder<br />

Luftverschmutzung).<br />

Erhaltung von kulturellen und ästhetischen Wert en<br />

Durch die „ lnkulturnahme" und frühere Formen der bäuerlichen<br />

Landnutzung ist die Naturlandschaft Mitteleuropas<br />

beträchtlich an Arten, Lebensgemeinschaften und Biotopen<br />

bereichert worden. Es entstanden „Kulturlandschaften", deren<br />

fruchtbare Felder und Wiesen wie auch die kleinen Reste<br />

naturnaher Ökosysteme zu überlieferungswürdigen Kul-<br />

538

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!