Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege
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Wolfgang Haber<br />
<strong>Warum</strong> ist <strong>Artenschutz</strong> notwendig?<br />
In der bald hundertjährigen Geschichte des deutschen Naturschutzes<br />
spielte der Schutz seltener oder gefährdeter<br />
Pflanzen- und Tierarten schon frühzeitig eine wesentliche<br />
Rolle. Andere Länder widmeten sich dagegen in erster Linie<br />
der Schaffung von Nationalparken oder Naturschutzgebieten;<br />
in den USA gibt es z.B. erst seit 1973 ein <strong>Artenschutz</strong>gesetz<br />
(Endangered Species Act). Trotz der langen Tradition<br />
ist der <strong>Artenschutz</strong> in Deutschland jedoch nicht besonders<br />
erfolgreich gewesen. Im Gegenteil, in den letzten zwei Jahrzehnten<br />
wird ein alarmierender Artenrückgang beklagt, der<br />
aber auch aus den meisten Ländern der Erde berichtet wird<br />
und Anlaß zur Aufstellung der „Roten Listen" (BLAB et al.<br />
1984 für die Bundesrepublik Deutschland) war.<br />
Das Schicksal der schwindenden Pflanzen- und Tierpopulationen<br />
beschäftigt Ökologen, Naturschutzfachleute und -behörden,<br />
Planer und Politiker, aber auch alle Naturfreunde,<br />
und gibt immer wieder Anlaß zu Überlegungen oder Diskussionen<br />
über Sinn und Notwendigkeit des <strong>Artenschutz</strong>es. Ihnen<br />
widmeten sich u.a. der Deutsche Naturschutztag in<br />
Trier 1980 (ABN 1980) und zwei gemeinsame Seminare der<br />
Arbeitsgemeinschaft beruflicher und ehrenamtlicher Naturschutz<br />
(ABN) und der Bundesforschungsanstalt für Naturschutz<br />
und Landschaftsökologie 1971 und 1982 (NICKEL<br />
1972, ABN 1983). Daneben sind in den letzten Jahren weitere<br />
inhaltsreiche Veröffentlichungen über die <strong>Artenschutz</strong>-Frage<br />
erschienen, von denen beispielhaft nur diejenigen von<br />
MARKL (1983) und ERZ (1983) sowie vor allem das Buch<br />
„Der lautlose Tod" des Ehepaars EHRLICH (1983) genannt<br />
seien; aus dem englischsprachigen Schrifttum sind die Bücher<br />
von MYERS (1979, 1983) und KOOPOWITZ und KAYE<br />
(1983) hervorzuheben.<br />
Die Argumente, die zugunsten eines wirksamen <strong>Artenschutz</strong>es<br />
verwendet werden, lassen sich in zwei Gruppen einteilen.<br />
Die erste Gruppe umfaßt <strong>Artenschutz</strong>-Argumente, die<br />
die Notwendigkeit der Arten für den Menschen hervorheben.<br />
In den wildlebenden Pflanzen- und Tierarten steht ein kaum<br />
ermeßbares Potential für neue Nutz-Organismen zur Verfügung,<br />
u.a. als Rohstoff-, Energie-, Nahrungs- und Heilmittellieferanten.<br />
Vorhandene Nutzpflanzen und -tiere bedürfen<br />
zur Resistenzzüchtung und Erbgutauffrischung immer wieder<br />
der Einkreuzung von Wildarten. Die biologische Schädlingsbekämpfung,<br />
der eine wachsende Bedeutung zugesprochen<br />
oder gewünscht wird, ist ohne Wildarten nicht<br />
denkbar. Wildlebende Arten, vor allem Pflanzen, werden als<br />
lebende Anzeiger von Umweltzuständen oder -veränderungen<br />
immer wichtiger. Überhaupt kann man an Wildarten<br />
wichtige Erkenntnisse über Anpassungen und andere Organismus-Umwelt-Beziehungen<br />
gewinnen, deren Ergebnisse<br />
für den Menschen, seine Nutzpflanzen und -tiere notwendig<br />
sind. Daher wächst das wissenschaftliche Interesse an den<br />
Arten und ihrer Vielfalt, da sie als „Bausteine" der Lebensgemeinschaften<br />
und Ökosysteme erkannt und anerkannt<br />
wurden, und die in der Physiologie übliche Beschränkung<br />
auf wenige geeignete Versuchs-Arten, die den <strong>Artenschutz</strong><br />
beklagenswert viel wissenschaftliche Unterstützung gekostet<br />
hatte, neuerdings gelockert wird.<br />
Schließlich erfüllen Teile der „wilden" Natur auch ästhetische<br />
Bedürfnisse, da die Erlebniswelt vieler Menschen auch<br />
im technischen Zeitalter, vielleicht mehr als zuvor, mit ihr<br />
verbunden ist. Was würde von unserer Kunst - der Musik,<br />
Malerei, Literatur, sogar Architektur übrigbleiben, wenn alles,<br />
was durch die Natur angeregt wurde, wegfiele (PETERS<br />
1980)? Alle diese Argumente lassen sich auf die Forderung<br />
zurückführen, daß die Natur„ und damit auch die Arten, zum<br />
Nutzen des Menschen geschützt werden müssen. Diese<br />
Forderung wird aber nur von denjenigen Menschen anerkannt,<br />
in deren Wertesystem sie paßt. Wer eine ausschließlich<br />
oder überwiegend technisch geprägte menschliche Umwelt<br />
für erstrebenswert und möglich,hält, wird diese Argumente<br />
als Sentimentalität betrachten und mißachten.<br />
Die zweite Gruppe von Argumenten geht davon aus, daß die<br />
Natur um ihrer selbst willen zu schützen sei. Nach KIR<br />
SCHENMANN (zit. bei PATZIG 1983) hat alles, was überhaupt<br />
existiert, ein Recht auf Existenz und Ist wert, daß es<br />
fortbesteht. Albert SCHWEITZER hat dagegen mit seinem<br />
berühmten Gebot „ Ehrfurcht vor dem Leben" eine etwas<br />
schwächere Begründung für den Natur- bzw. den <strong>Artenschutz</strong><br />
gegeben. Solche und ähnliche Argumente werden<br />
vor allem aus der Betrachtung der Evolution - und des<br />
Menschen als ihrem derzeitigen Endergebnis - abgeleitet,<br />
und damit wird die Zugehörigkeit des Menschen zur Natur<br />
bewiesen. Diese Zugehörigkeit begründet die Forderung<br />
nach Partnerschaft mit der Natur, also dem Gegenteil von<br />
Ausbeutung. Wie PETERS (1980) aber betont, kann die Begründung<br />
des <strong>Artenschutz</strong>es mit der Evolutionslehre geradezu<br />
gefährlich sein, weil gerade die Evolution zeigt, daß<br />
nichts auf der Welt beständig ist, und daß jede Art ihre Umwelt<br />
und auch andere Arten bis zum äußersten ausnutzt. Sie<br />
fördert dadurch die weitere Evolution - und eben darauf<br />
kann sich der Mensch wiederum berufen und den Naturschutz<br />
in den Bereich reiner Sentimentalität verweisen.<br />
Übrigens hat A. SCHWEITZER sein Gebot selbst wieder relativiert,<br />
indem er sich einmal als „ Massenmörder von Bakterien"<br />
bezeichnete - die er mit Medikamenten ( = Bakteriziden,<br />
also Pestiziden!) vernichtete, um einen kranken Menschen<br />
zu retten. P. u. A. EHRLICH (1983, S. 77) schreiben<br />
dazu: Wir können ja nicht so tun, als gäbe es irgendeinen<br />
Weg menschlichen Lebens ohne jede Beeinträchtigung<br />
nichtmenschlichen Lebens. Aber, so fügen sie hinzu, wir<br />
brauchen einen neuen Maßstab, an dem wir jede einzelne<br />
Entscheidung zwischen unserem eigenen Wohlergehen und<br />
dem Wohlergehen anderer Arten orientieren können. Jeder<br />
Mensch muß sich danach in moralischen Konfliktfällen<br />
Schuld aufladen, wie immer er sich entscheidet.<br />
Die These, die Natur sei um ihrer selbst willen zu schützen,<br />
läßt sich also nicht aus der Evolutionslehre herleiten (die<br />
wertfrei Ist), sondern setzt eine religiöse Grundhaltung oder<br />
ethische Werte voraus. Diese sind aber teilweise auch von<br />
wissenschaftlichen Einsichten abhängig. So kann man in<br />
einem 1907 erschienenen Bestimmungsbuch „Die Vögel<br />
Mitteleuropas" Ober den Sperber lesen: „Der Schaden, den<br />
dieser listige, tückische und kühne Räuber der Vogelwelt<br />
zufügt, ist, obwohl er vielen Spatzen den Garaus macht, der·<br />
art, daß man BREHM zustimmen muß, wenn er ausruft ,Tod<br />
und Verderben der Sperberbande!'." Der Herausgeber dieses<br />
Buches war der Bund für Vogelschutz, der sich heute sicherlich<br />
von dieser Äußerung distanziert und den Sperber<br />
selbstverständlich in den Greifvogelschutz einbezieht.<br />
Eindeutige, allgemeine Zu stimmung findende Argumente<br />
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