Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege
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serverunreinigung das Ausweichen in saubere Gewässerabschnitte<br />
eine selbstverständliche Verhaltenskonsequenz.<br />
Die Einteilung eines Fließgewässers durch Wehre und Staustufen<br />
in isolierte Teilstücke kann eine solche, das Überleben<br />
der Art in diesem Gewässer sichernde Reaktion verhindern.<br />
Selbst kurze Verrohrungen, Schleusenausbau oder<br />
Stromschnellen tragen zu lsolationseffekten bei. In einem<br />
700 m langen, seit 50 Jahren isolierten Teilstück eines Bachlautes<br />
hat nur eine Fischart überlebt, während weitere Arten,<br />
die in diesem Abschnitt zu erwarten wären, verschwunden<br />
sind (BLESS, mdl. Mit!.). Vernetzung hieße in diesem<br />
Beispiel: Wehre und Staustufen für Fischarten, aber vielleicht<br />
auch für Wasserinsekten, die teilweise vor der Eiablage<br />
große Wanderungen gegen den Strom durchführen müssen<br />
(das Phänomen ist bekannt unter der Bezeichnung<br />
Kompensationsmigration), wieder durchgängig zu machen.<br />
Die Verbindung von Teillebensräumen beispielsweise der<br />
Amphibien durch geeignete Strukturelemente oder künstliche<br />
Hilfsmittel muß ebenso als Vernetzungsmaßnahme verstanden<br />
werden.<br />
3 Bedeutung der Vernetzung<br />
Die Bedeutung der Vernetzung leitet sich aus der Möglichkeit<br />
ab, den in der Einleitung genannten negativen Konsequenzen<br />
von Verinselung und Isolation wirksam zu begegnen<br />
oder diese doch wenigstens zu mildern. Dabei ist die<br />
Bedeutung für einzelne Artengruppen bzw. Arten unterschiedlich<br />
zu bewerten. Arten mit großem Ausbreitungsvermögen,<br />
insbesondere die vagilen Arten mit hoher raumdynamischer<br />
Flexibilität oder Arten mit besonderen, unter den<br />
gegebenen Umständen günstigen Verbreitungsmechanismen,<br />
profitieren weniger von einer Vernetzung. Hierzu sind<br />
viele Vogel-und Fluginsektenarten zu zählen, oder auch solche<br />
Spinnenarten, die sich mit Hilfe von Sehwebfäden bei<br />
günstiger Witterungslage passiv an einen neuen Ort verdriften<br />
lassen.<br />
Dagegen sind andere Arten mit geringem Aktionsradius und<br />
Ausbreitungsvermögen und enger räumlicher Bindung auf<br />
solche Verbindungselemente in besonderer Weise angewie·<br />
sen. Zu dieser Gruppe zählen die Schnecken, viele Gliedertierfamilien,<br />
aber auch Vertreter der Reptilien, Amphibien,<br />
Fische und einzelner Säugetiertaxa.<br />
Allerdings bringt ein vernetztes System auch für die mobilen<br />
Arten eine ganze Reihe von Vorteilen wie Deckung vor<br />
Räubern, Erweiterung im Angebot von Verstecken, Ruhe·<br />
plätzen und Rückzugsräumen in besonderen Entwicklungsphasen.<br />
Der ökosystemare Aspekt, daß ein strukturreiches, die einzelnen<br />
Biotoptypen über Raumelemente verbindendes System<br />
mehr Flexibilität besitzt, indem es seinen einzelnen<br />
Bestandteilen mehr Optionen für Reaktionen auf Umweltveränderung<br />
ermöglicht und dadurch an Stabilität gewinnt,<br />
darf nicht außer acht gelassen werden. In dem Maße, wie<br />
über die Vernetzungselemente einzelnen Arten essentielle<br />
Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, gewinnt auch<br />
das Gesamtsystem hinsichtlich Artenkonstanz und Artenvielfalt.<br />
4 Beispiele und offene Fragen<br />
Konkrete Beispiele für die Vernetzung werden häufig eingeengt<br />
nur in einer Strukturanreicherung der intensiv bewirtschafteten<br />
Agrarlandschaft mit Hecken und Feldgehölzen<br />
gesehen. (Ein gelungenes Beispiel stellt hierzu COLARIS<br />
(1983) vor.) Darüber hinausgehend lautet die Forderung, das<br />
Konzept der Biotopverknüpfung und lsolationsminderung<br />
tiergruppenspezifisch auszuformen. So kann und muß es<br />
auch eine Vernetzung der Bachufervegetation für uferbewohnende<br />
Insekten, Vögel und Säugetiere geben, ebenso<br />
eine Vernetzung der Fließgewässer wie bereits eingangs geschildert,<br />
oder auch eine Vernetzung der Feuchtwiesen für<br />
Feuchtwiesenbrüter und die an diesen Lebensraum ange·<br />
paßten Schmetterlinge ebenso wie für die Käfer oder Wanzen<br />
dieser Biotoptypen, um nur einige Tiergruppen herauszugreifen.<br />
Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Die Notwen·<br />
digkeit der konkreten Maßnahmen wie auch die Abwägung<br />
von Prioritäten im Konfliktfall richten sich dabei einerseits<br />
nach den festgestellten Defiziten der Raumausstattung in<br />
bezug auf das zu schützende Arteninventar, andererseits<br />
nach den in den <strong>Artenschutz</strong>programmen definierten<br />
Schutzobjekten und Schutzzielen.<br />
Selbstverständlich entstehen bei Planung und Realisation<br />
eines solchen mehrdimensional vernetzten Systems Zielkonflikte<br />
und innere Reibungen. Nicht alle Netzstrukturen<br />
lassen sich harmonisch ohne gegenseitige Störungen in einem<br />
Gesamtsystem verwirklichen. Zusätzlich wird die planerische<br />
und praktische Realisation im Kampf mit dem bereits<br />
existenten dichten Verkehrswege-, Siedlungs- und lnfrastrukturnetz<br />
noch erheblich eingeschränkt.<br />
Trotz dieser inneren wie äußeren Hindernisse muß die Vernetzung<br />
der Lebensräume in der naturschutzorientierten,<br />
dem <strong>Artenschutz</strong> langfristig dienenden Raumstrukturpla·<br />
nung unter Abwägung und ökologischen Gewichtung der<br />
besonders betroffenen oder hinsichtlich der Raumdynamik<br />
besonders eingeschränkten Tiergruppen ein zentrales An·<br />
liegen sein. Dabei darf nicht übersehen werden, daß eine<br />
noch so gut geplante und realisierte Vernetzung die Grundausstattung<br />
eines Raumes mit ausreichend großen und<br />
funktionsfähigen Biotopen nicht ersetzen kann.<br />
In der Grundlagenforschung und in der angewandten Ökologie<br />
bieten in dem geschilderten Zusammenhang viele offene<br />
Fragen ein weites Betätigungsfeld. So ist beispielsweise<br />
noch sehr wenig bekannt über die Akzeptanz künstlich eingebrachter<br />
Biotopstrukturen, über die Grenzwerte der „Maschenweite"<br />
für einzelne Arten oder die Mindestentfernung<br />
punktförmiger Vernetzungselemente.<br />
Schließlich bietet das gesamte Gebiet der Populationsökologie<br />
besonders im Hinblick auf kleine Populationen mit reduziertem<br />
Genfluß eine Fülle anwendungsrelevanter Fragestellungen.<br />
Verläßliche Forschungsergebnisse werden dringend<br />
benötigt, um das hier vorgestellte Konzept der Vernet·<br />
zung inhaltlich weiter auszugestalten.<br />
5 Zusammenfassung<br />
Die Konsequenzen der Verinselung der Landschaft werden,<br />
unterteilt in räumlich bedingte und genetisch bedingte Folgen,<br />
vorgestellt.<br />
Die Bedeutung der Vernetzung der Landschaft für den <strong>Artenschutz</strong><br />
ergibt sich aus der Chance, die für die Lebensgemeinschaften<br />
nachteiligen Konsequenzen der Biotopisolierung<br />
und Verinselung abzuwenden oder doch zu mildern.<br />
<strong>Artenschutz</strong> ist in der Praxis zunächst Populationsschutz.<br />
Die Population als Fortpflanzungsgemeinschaft ist die<br />
Grundeinheit aller ökologischen Vorgänge.<br />
Für das Überleben einer Art ist die Mobilität im Raum sowohl<br />
des Individuums (Flucht, Migration, Versteck) als auch<br />
der Population (räumliches Ausweichen bei Umweltstörungen)<br />
und der Art insgesamt (Arealverschiebung, Arealausweitung)<br />
notwendige Voraussetzung. Die Raumdynamik<br />
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