Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege
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lationsdichte der für die Regulation der Ökosysteme wichtigen<br />
Schlüsselarten und der „seltenen" Arten datenmäßig<br />
zu erfassen. Im Rahmen des <strong>Artenschutz</strong>es spielen dabei<br />
sowohl die „absoluten" Abundanzen als auch die „relativen"<br />
Abundanzen (Dominanzwerte) der gefährdeten und der<br />
zunächst noch nicht gefi;lhrdeten Arten eine große Rolle.<br />
Von mindestens ebenso großer Bedeutung für den <strong>Artenschutz</strong><br />
ist die Ermittlung des Prozentsatzes von Arten, die<br />
bestimmte Funktionstypen innerhalb eines Lebensraumes<br />
halten. Dazu gehört beispielsweise die Ermittlung des Anteils<br />
von Artengruppen mit Konsum lebender Pflanzensubstanz<br />
(phytophage Gruppe), von Artengruppen mit Konsum<br />
abgestorbener Pflanzensubstanz (detritophage Gruppe),<br />
von Artengruppen mit hohem Anteil an Parasitenarten usw.<br />
Die Abschätzung der ökosystemaren Folgen eines Ausfalls<br />
solcher Funktionstypen gründet sich dann auf die typischen<br />
Prozentsätze an Artenzahlen und auch auf die Populationsanteile<br />
(in den jeweiligen Ökosystemen), die zu den bestimmten<br />
Ernährungstypen innerhalb eines Ökosystems gehören.<br />
21 <strong>Artenschutz</strong> für häufige Arten<br />
Heute wird - möglicherweise aus emotionalen Gründen -<br />
der Einsatz für den <strong>Artenschutz</strong> im Bereich der „seltenen Arten"<br />
weit höher veranschlagt und für vorrangiger gehalten<br />
als der <strong>Artenschutz</strong> für die sog. „häufigen Arten". Dabei<br />
werden „primär seltene" Arten von „sekundär seltenen" in<br />
der Regel nicht unterschieden. Diese Nicht-Unterscheidung<br />
kann für manche Fälle angemessen sein, sollte aber nicht<br />
als Regel gelten. Der Schutz der „sekundär seltenen" oder<br />
„selten gewordenen" Arten und der „naturgegeben seltenen"<br />
Arten, die immer am Rande der Gefährdung stehen, ist<br />
unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung von genetischer<br />
Vielfalt gewiß ein wichtiger Ansatz des <strong>Artenschutz</strong>es.<br />
Unter dem Gesichtspunkt des Naturhaushaltes, also im Hinblick<br />
auf einen gesicherten und stabilisierten Stoffkreislauf,<br />
ist <strong>Artenschutz</strong> für von „Natur aus" (genetisch) seltene Arten<br />
nachrangig. Denn für den Stoffkreislauf - also für den<br />
Naturhaushalt - sind gerade die häufigen Arten bedeutsam.<br />
Wenn eine Art - mit von Natur aus in einem bestimmten<br />
Biotop hoher Populationsdichte („häufige Art") - an<br />
diesem Standort auf den Populations-Status einer „ selte·<br />
nen Art" sinkt, hat dies für das Ökosystem in der Regel<br />
nachhaltig negative Folgen. Für die betroffenen Arten muß<br />
die Herabsetzung der Populationsdichte hingegen noch keine<br />
negative Wirkung haben, es· sei denn, daß es dabei zur<br />
genetischen Verarmung der Population kommt.<br />
Der <strong>Artenschutz</strong> muß zukünftig die Erhaltung der Häufigkeit<br />
der Arten als weiteres wichtiges Ziel sehen. Dafür müssen<br />
die „häufigen" Arten der jeweiligen Ökosysteme bekannt<br />
sein und katasterartig erfaßt werden. Wir brauchen regional<br />
differenzierte „Listen der häufigen Arten" der jeweiligen<br />
Ökosystemtypen als wichtige Basis eines „ vorsorgenden<br />
<strong>Artenschutz</strong>es" und zur Vermeidung ökosystemarer Gesamt<br />
schäden in den jeweiligen Stoffhaushalten und Nahrungsnetzen.<br />
Es kann durchaus der Fall eintreten, daß bestimmte ursprünglich<br />
häufige Arten dauerhaft in ihrer Existenz in einem<br />
Biotop auf einem stark erniedrigten Populations-Niveau,<br />
also als „sekundär seltene" Arten erhalten werden<br />
können. Diese Erhaltungsstrategie auf „niedrigem Level"<br />
kann dann nur als ein Teilziel des <strong>Artenschutz</strong>es betrachtet<br />
werden. Für den Ökosystemschutz muß es Zielsetzung sein,<br />
ursprünglich in einem Biotop „häufige Schlüsselarten" auf<br />
das adäquate, typische Populations-Niveau anzuheben. Die<br />
Liste der wichtigsten „Schlüsselarten" der Ökosystemty-<br />
pen Mitteleuropas muß dafür nach Nahrungstypen und Nahrungsstufen<br />
aufgebaut sein.<br />
22 „Rote Listen" der gefährdeten Artengruppen<br />
In bezug auf „sekundäre Seltenheit" oder den Gefährdungsgrad<br />
ist die „Rote Liste" der gefährdeten Arten ein umweltpolitisch<br />
wichtiges Kataster. Als Ergänzung hierzu benötigen<br />
wir eine Liste der „besonders gefährdeten Tier-Gruppen"<br />
- also eine Liste ' von Organismen-Gruppen, in der die<br />
Anteile der gefährdeten Arten die nicht gefährdeten Arten<br />
bereits überwiege"n. Da in allen Ökosystemen die „ häufigen"<br />
Arten ebenso wie die „seltenen'', akut gefährdeten Arten<br />
aus den verschiedensten Gründen gemeinsam benötigt<br />
werden, müssen sich die <strong>Artenschutz</strong>- Programme auf die<br />
Gesamtheit des Artenbestandes, also auf die „ häufigen"<br />
und auf die „seltenen" Arten in den überwiegend gefährdeten<br />
Artengruppen beziehen.<br />
Was geschieht beispielsweise, wenn nicht nur die gefährdeten<br />
Heuschrecken-Arten in der Bundesrepublik Deutschland,<br />
sondern alle 80 Arten der Orthopteren Mitteleuropas in<br />
ihrem Bestand auf Null zurückgehen? Der ökologische Effekt<br />
wäre in Mitteleuropa in der Mehrzahl der terrestrischen<br />
Ökosysteme als gering anzusehen - abgesehen von wenigen<br />
Ökosystemen, wie Trockenrasen-Biotopen. In den Steppen<br />
Südrußlands oder in den Savannen-Biotopen Afrikas<br />
wäre der Effekt aber als groß und ökosystemar nachhaltig<br />
einzuschätzen. Für den <strong>Artenschutz</strong> der Heuschrecken kann<br />
in Mitteleuropa das Entscheidungskriterium genügen, daß<br />
die gesamte Gruppe - sowohl die häufigen als auch die<br />
seltenen Arten - geschützt werden muß. Es gibt auch keine<br />
„ schädlichen" Heuschrecken-Arten in Mitteleuropa, die einen<br />
totalen Schutz der Gesamtheit dieser taxonomischen<br />
Gruppe in Frage stellen könnten.<br />
23 Bedeutung des <strong>Artenschutz</strong>es für artenreiche<br />
Tiergruppen: Beispiel Diptera<br />
Ein erfolgreicher <strong>Artenschutz</strong> einer artenarmen Tiergruppe,<br />
wie der der Heuschrecken (Orthoptera) würde nur 0,2% der<br />
Tierarten Mitteleuropas schützen; ähnliches gilt für die Libellen<br />
(Odonata), ähnliches gilt für die Tagfalter (Rhopalocera).<br />
Ein erfolgreicher <strong>Artenschutz</strong> für diese Gruppen könnte<br />
aber einen umfassenden Biotopschutz für bestimmte gefährdete<br />
Biotoptypen einleiten. Dann sollte man diese Strategien<br />
allerdings auch als „ Biotop-Schutz" oder „Ökosystem-Schutz"<br />
bezeichnen. Ein erfolgreicher <strong>Artenschutz</strong> für<br />
die artenreiche Tiergruppe der Dipteren (Fliegen und Mükken)<br />
würde aber 7%, also den 35fachen Arten-Anteil in der<br />
Fauna Mitteleuropas (im Verhältnis zu den Heuschrecken)<br />
betreffen und dazu indirekt sämtliche Ökosystemtypen<br />
(Biotope) - bis auf einige marine Lebensräume - umfassen.<br />
Die Dipteren-Fauna Deutschlands hat einen Anteil von 7%<br />
an der Weltfauna (vgl. NOWAK et al. 1981). Die Fauna der<br />
Bundesrepublik Deutschland hat einen Anteil von 4% der<br />
Artenzahl der Welt. Dies stellt für die Bundesrepublik<br />
Deutschland einen erheblichen Prozentsatz dar; denn der<br />
Flächenanteil der BRD an der Festlandsfläche der Welt liegt<br />
weit darunter. Der hohe Arten- und lndividuenanteil der Dipteren<br />
würde bedeuten, daß die <strong>Artenschutz</strong>-Strategien in<br />
Mitteleuropa insbesondere auf die Dipteren ausgerichtet<br />
werden müßten, da sie in unserer Fauna artenmäßig fast<br />
doppelt so stark vertreten sind wie der Durchschnitt der anderen<br />
Tiergruppen im Verhältnis zur Weltfauna.<br />
Wo eine Tiergruppe - wie die Dipteren - in bezug au f die<br />
Arten- und lndividuenzahl besonders stark vertreten ist,<br />
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