27.04.2014 Aufrufe

Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege

Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege

Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

muß mit großer Wahrscheinlichkeit eine starke Bindung der<br />

Ökosysteme an diese Tiergruppe vorhanden sein. Dies ist<br />

bei Dipteren in Mitteleuropa in der Tat nicht nur qualitativ -<br />

was die Artenzahl anbelangt - der Fall, sondern auch gera·<br />

de quantitativ - was die Siedlungsdichte anbelangt. Es<br />

gibt in Mitteleuropa kaum ein terrestrisches oder limnisch·<br />

aquatisches Ökosystem, in dem nicht die Dipteren im Bereich<br />

der Meso· und Makrofauna in bezug auf Arten- und Jndividuenzahl<br />

bestimmend sind. In vielen Biotopen entfallen<br />

auf die Dipteren bis zu 80% der Populatio.nsdichte der Makrofauna<br />

der Vegetationsschicht und 50-70% der Makro·<br />

fauna des Bodens.<br />

24 Schutz-Strategien für artenreiche und dominante<br />

Tiergruppen<br />

Wenn die Bundesrepublik Deutschland beispielsweise für<br />

den Ökosystem-Komplex „ Wattenmeer" eine besondere<br />

Schutzverpflichtung hat, weil Wattenmeer-Typen auf der<br />

Welt kaum noch einmal so großflächig mit so hoher Arten·<br />

zahl und so hoher Tierdichte vorkommen wie vor der deutschen<br />

Nordseeküste, dann gilt dies Argument für einzelne<br />

artenreiche Tiergruppen mit hoher Dominanz in einem geographischen<br />

Raum in analoger Weise.<br />

Jedes Land der Welt hat für die Tiergruppe, die bei ihm überdurchschnittlich<br />

häufig auftritt - es sei denn, diese Tiergruppe<br />

sei insgesamt dauerhaft als „schädlich" einzustufen<br />

- eine besondere Verpflichtung in bezug auf <strong>Artenschutz</strong><br />

wahrzunehmen. Arten mit verringerter Populationsdichte<br />

in den Randgebieten ihres Vorkommens - also<br />

außerhalb ihres geographischen Verbreitungszentrums<br />

„seltene Arten" - sind auch in diesen Randgebieten zu<br />

schützen.<br />

Als verhängnisvoll für den <strong>Artenschutz</strong> muß es bewertet<br />

werden, wenn alle Länder in ihrem Bereich jeweils nur die<br />

„selten gewordenen Arten" schützen und bei den häufigen<br />

Arten solange warten, bis sie von Natur aus „Seltenheit in<br />

ihrem Auftreten" erreicht haben. Auf diesem verhängnisvol·<br />

Jen Irrweg befindet sich die <strong>Artenschutz</strong>-Politik zur Zeit -<br />

wenigstens in wichtigen Teilgebieten.<br />

25 Bedeutung der innerartlichen (intraspezifischen)<br />

Vielfalt für die Arterhaltung<br />

Die <strong>Artenschutz</strong>-Strategien gehen in Diskussion und Entscheidung<br />

oft darüber hinweg, daß die Erhaltung der intraspezifischen<br />

Vielfalt ein besonders wichtiges Schutzziel im<br />

Rahmen des <strong>Artenschutz</strong>es sein muß. Eine Art, die in ihren<br />

Populationen genetisch verarmt ist, hat wegen geringerer<br />

Anpassungschancen auch geringere Möglichkeiten, im<br />

Rahmen der Evolution neue Tochterarten hervorzubringen<br />

als eine Art, die noch eine große genetische Variationsbreite<br />

(zusammen mit hoher Mutationsrate) aufweist. Der Um·<br />

fang innerartlicher Vielfalt läßt sich an einer Population<br />

meist morphologisch, also an der Außenstruktur der Individuen,<br />

nicht erkennen. Sie ist daher bei Tieren meist schwierig<br />

erfaßbar. Daher bleibt als Methode des Schutzes der in·<br />

nerartlichen Vielfalt nur, daß wenigstens die ökologischen<br />

Voraussetzungen für die Erhaltung einer genetischen Viel·<br />

falt geschaffen werden. Zu den Voraussetzungen dafür ge·<br />

hört, daß eine Vielzahl regional möglichst gleichmäßig gestreuter<br />

Standorte mit möglichst hoher Dichte innerhalb<br />

des potentiellen Areals der Gesamtverbreitung einer Art erhalten<br />

bleiben oder wiederhergestellt werden. Dazu gehört<br />

auch das Prinzip der Erhaltung des Vorkommens einer Art in<br />

möglichst vielen einzelnen Biotopbeständen eines be·<br />

stimmten Biotoptyps, und zwar jeweils mit möglichst hoher<br />

Populationsdichte, also als - wenn dies möglich ist -<br />

„häufige Art".<br />

Das verspätete Beginnen mit Schutzmaßnahmen erst auf<br />

dem Status einer inzwischen eingetretenen „ Seltenheit" ist<br />

aus den genannten Gründen in der Regel mit höherem genetischen<br />

Verlust innerhalb der Populationen verbunden. Es<br />

müssen <strong>Artenschutz</strong>maßnahmen in der 1. Priorität also auf<br />

solche Arten bezogen werden, die zwar noch „häufig" sind,<br />

aber bei denen die Gefahr besteht, daß sie in wenigen Jahren<br />

in der Populationsdichte und damit in ihrer innerartlichen<br />

Vielfalt zurückgehen können. Damit stellt eine beson·<br />

ders wichtige Kategorie für den Naturschutz die der „potentiell<br />

gefährdeten Arten" (der „Roten Listen") dar.<br />

26 Notwendigkeit eines vernetzten Bewertungssystems für.<br />

den <strong>Artenschutz</strong><br />

Wir stehen im <strong>Artenschutz</strong> vor einem komplizierten, vielge·<br />

3taltigen Netz von Argumenten im Hinblick auf den Korn·<br />

plex der Folgen eines eventuellen Artenausfalls. Es gibt für<br />

ein solches Argumentationsnetz nahezu keine Art, die nicht<br />

auch in der Schutz-Priorität ganz oben eingestuft werden<br />

könnte - je nach Einschätzung der Bedeutung eines einzel·<br />

nen Bewertungskriteriums und je nach Kenntnisreichtum<br />

des Bewertenden.<br />

Aus den Einzel-Beispielen und aus den dargestellten Prinzipien<br />

ergibt sich als Konsequenz, daß jede Art praktisch den<br />

gleichen Stellenwert innerhalb der <strong>Artenschutz</strong>-Strategien<br />

haben muß - die hochentwickelten Arten genau so wie die<br />

primitiven, die hoch im phylogenetischen System stehen·<br />

den Arten genau so wie die am Anfang des Systems stehen·<br />

den Arten, die hochästhetischen Arten genau so wie die unansehnlichen<br />

Arten, die häufigen Arten genau so wie die<br />

seltenen Arten. Am ehesten wären Prioritäten im <strong>Artenschutz</strong><br />

gerechtfertigt, die „euryöken Arten" hinter die „stenöken<br />

Arten" in eine Skala von Dringlichkeiten zu stellen.<br />

Wir haben es mit einem mehrdimensionalen Bewertungssystem<br />

im <strong>Artenschutz</strong> zu tun. Dieses kann aber wegen seines<br />

komplexen Inhaltes in der Regel nur fach intern oder wissenschaftsintern<br />

gehandhabt werden. Ein Politiker oder ein<br />

Nicht-Biologe in der Verwaltung kann mit einer komplizier·<br />

ten Netz-Argumentation von Folgenabwägungen zunächst<br />

nur wenig anfangen. Man sollte also für die Praxis des Ar·<br />

tenschutzes vor Ort „vereinfachte Bewertungs-Kriterien" innerhalb<br />

von Arten-Listen geben. Das bedeutet die Zusam·<br />

menstellung von Kurz-Kennzeichnungen der Funktionen<br />

und der darauf aufbauenden Schutz-Strategien für bestimmte<br />

Arten-Gruppen oder artenbezogene Nahrungsstufen für<br />

die einzelnen Ökosystemtypen. Dabei sollte für die Praxis<br />

eine kurze ökologische Einschätzung der Empfindlichkeit<br />

und der Ansprüche der Arten oder Artengruppen und der<br />

möglichen Folgen bei Ausfall von Arten gegeben werden.<br />

27 Übersicht über die wichtigsten Kategorien der Folgen<br />

des Aussterbens von Tierarten<br />

Im folgenden wird eine Übersicht Ober die Kategorien gegeben,<br />

in denen sich die Folgen des Aussterbens von Tierar·<br />

ten abspielen. Zunächst ist grundsätzlich bei den Folgen<br />

des Aussterbens von Tierarten zu unterscheiden zwischen<br />

dem regionalen und dem totalen Aussterben einer Art.<br />

A. Regionales Aussterben<br />

a) Aussterben an einer einzelnen Lokalität<br />

b) Aussterben In einer größeren geographischen Region<br />

591

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!