Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege
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Die Entwicklung eines Biotopverbundsystems kann sich in<br />
folgenden Schritten vollziehen:<br />
- Erfassung aller den Landschaftsraum kennzeichnenden<br />
Biotoptypen (Biotoptypenkartierung)<br />
- Flächenscharfe Kartierung der schutzwürdigen Biotope<br />
(Biotopkartierung)<br />
- Beurteilung der ökologischen Funktionen sowie der aktuellen<br />
und zukünftig möglichen Beeinträchtigungen dieser<br />
Biotope<br />
- Aufstellung von Arteninventaren sowie Ermittlung von<br />
raum- und strukturrelevanten Ansprüchen der dominanten<br />
Arten<br />
- Daraus ergibt sich eine Netz- bzw. Punktdichte der neu<br />
anzulegenden Verbindungsstrukturen<br />
- Aufstellung qualitativer und quantitativer Merkmale der<br />
einzurichtenden Verbindungsstrukturen<br />
- Aufstellung von Plänen zur Sanierung der schutzwürdigen<br />
Biotope<br />
- Ausführung der Pläne<br />
- Erfolgskontrolle durch Beobachtung der Wanderungsund<br />
Besiedlungsdynamik von Tier- und Pflanzenarten in<br />
den Vernetzungselementen.<br />
Beispiele für Möglichkeiten linearer Vernetzung sind Wegraine,<br />
Säume, Hecken (in verschiedenen Ausformungen),<br />
Ufervegetation, Gräben, Hanganschnitte, Trockenmauern,<br />
Baumreihen (auch Obstbaumreihen); Beispiele für fleckenartige<br />
Biotopstrukturen sind Feldgehölze, aufgelassene Ab·<br />
grabungsflächen, stehende Gewässer, Obstwiesen, Naturwaldzellen<br />
usw.<br />
Besondere Sorgfalt ist bei der Planung künstlicher Raumstrukturen<br />
auf die Ausstattung mit Pflanzen geboten. Diese<br />
sollte sich einerseits an den zu verbindenden Restbiotopen<br />
und deren Pflanzenarteninventar, andererseits an den Vorgaben<br />
der natürlichen potentiellen Vegetation orientieren,<br />
um dem im laufe der Jahre und infolge unterschiedlicher<br />
Nutzungsformen eingetretenen Wandel des Pflanzenartenspektrums<br />
graduell entgegenzuwirken. Darüber hinaus bietet<br />
sich mit dem Konzept „Vernetzung" die Möglichkeit dar,<br />
durch das Einbringen biotoptypischer gefährdeter Pflanzenarten<br />
auch unmittelbar dem <strong>Artenschutz</strong> zu dienen.<br />
Die biologischen Größen zur Abschätzung von Netzdichte<br />
oder Minimalabständen, nämlich Wanderungszeitpunkt und<br />
Dauer, überbrückbare Reichweiten und Prozentsatz wandernder<br />
Individuen einer Population, sind erst bei wenigen<br />
Tierarten hinreichend untersucht, so daß sich hier für den<br />
Bereich der angewandten Tierökologie ein weites Betätigungsfeld<br />
auftut. Während für viele Tiergruppen auch größere<br />
Abstände problemlos überwunden werden (Vögel,<br />
Fluginsekten, viele Spinnenarten, viele Säugetiere, Wasserkäfer,<br />
Wasserwanzen), sind auch zahlreiche Tierarten mit<br />
geringen Wanderungsweiten und weniger effektiven Verbreitungsmechanismen<br />
bekannt. Hierzu gehören beispielsweise<br />
die große Zahl flugunfähiger Insekten, manche Reptilien,<br />
manche Säugetiere, die Weichtiere und einzelne Amphibienarten.<br />
Fische und höhere "Krebse haben, was die europäischen<br />
Arten betrifft, keine Mechanismen zur Überbrükkung<br />
von Landhindernissen entwickelt, sieht man von dem<br />
seltenen zufallsgesteuerten Transport von Fischlaich im<br />
Entengefieder einmal ab. Für Fische ist eine Beseitigung<br />
der Wanderungshindernisse innerhalb der Gewässerlebensräume,<br />
wie sie sich beispielsweise als Schleusen, Staustufen,<br />
Wehre, Verrohrungen und ähnliche wasserbauliche<br />
Maßnahmen darstellen, erforderlich.<br />
Bei allem muß allerdings bedacht werden, daß in der übernutzten<br />
Kulturlandschaft kaum noch ungestörte Lebensge·<br />
meinschaften bestehen. Selbst wenn Naturschutzgebiete,<br />
wie in Nordhrein-Westfalen geplant, 3 % der Landesfläche<br />
ausmachen würden, stellen sie nur allseits bedrohte Inseln<br />
in der Wirtschafts- und Industrielandschaft dar. Daher muß<br />
ein wirkungsvoller Biotop- und <strong>Artenschutz</strong> die gesamte<br />
Landesfläche miteinbeziehen. Die Sicherungs· und Pflegemaßnahmen<br />
müssen vor allem die sogenannten „Kleinstrukturen"<br />
wie Kleingewässer, Wegränder und Hecken einbeziehen,<br />
aus denen zwangsläufig alle jenen Arten verschwunden<br />
sind, die größeren Raumbedarf haben und auch<br />
in den „ Kleinbiotopen" vorkamen, solange diese noch in<br />
weitere, ungestörte Naturgebiete eingebettet waren. Es ist<br />
also überall eine durch menschliche Nutzungsverfahren<br />
und Eingriffe bereits in ihrer ursprünglichen Artenzahl verarmte<br />
und daher in ihrer inneren Stabilität mehr oder weniger<br />
weitgehend geschädigte Lebensgemeinschaft, nicht ein<br />
Natur-Rest, sondern eine Rest-Natur, ja geradezu eine Natur-Ruine,<br />
der unser so sehr verspätetes Schutzbemühen<br />
gilt. Wenn daher von einer „langfristigen existenzfähigen"<br />
Lebensgemeinschaft die Rede ist, so ist diese Existenz nur<br />
noch in seltensten Fällen aus der Selbstregulation und -erhaltung<br />
des Systems heraus zu sichern, und sie erfordert je·<br />
weils verschiedene unterstützende und regelnde Maßnah·<br />
men des Menschen. Bei Klein· und Saumbiotopen gilt das<br />
besonders hinsichtlich der von außen einwirkenden Störun·<br />
gen, die diese Systeme nicht .aus eigener Kraft ausgleichen<br />
können.<br />
In vielen Fällen kann es dabei gar nicht darum gehen, die ur·<br />
sprünglichen Lebensgemeinschaften eines Schutzgebietes<br />
wiederherzustellen. Diese wären nach allem, was der<br />
Mensch an den Grundbedingungen des Biotops (z. B. Ab·<br />
senkung des Grundwasserspiegels) meist irreversibel verändert<br />
hat, dort gar nicht mehr lebensfähig. Es gilt vielmehr,<br />
Lebensgemeinschaften heranzuhegen und in ihrer Entwicklung<br />
zu fördern, die unter den jetzigen und langfristig vorhersehbaren<br />
Belastungen dort entwicklungs- und erhaltungsfähig<br />
sind.<br />
In besonderem Maße gilt das Vorstehende für die sogenannte<br />
„Natur aus zweiter Hand", die Renaturierung aufgegebener<br />
Braunkohle·, Sand- und Kiesgruben und die „naturnahe"<br />
Gestaltung von Stauseen und dergleichen.<br />
In einem so dicht bevölkerten und so intensiv genutzten<br />
Land wie der Bundesrepublik Deutschland darf man die hier<br />
sich bietenden Möglichkeiten gewiß nicht versäumen, diese<br />
aber auch nicht überschätzen. Sie bilden keinen Ersatz für<br />
den Schutz weiträumiger, sich noch aus eigener Kraft erhaltender<br />
Naturräume.<br />
Als eine Möglichkeit der Sicherung und Erhaltung von Arten<br />
und Biotopen wird heute vielfach gefordert, bestimmte Flächen<br />
aus dem bisher landwirtschaftlich genutzten Bereich<br />
auszugliedern und diese für Naturschutzzwecke zur Verfügung<br />
zu stellen. Dies erscheint auch angesichts der Überproduktion<br />
in gewissen Bereichen des EG·Marktes sinnvo ll.<br />
Es bietet sich an, wie dies in Nord rhein-Westfalen inzwischen<br />
praktiziert wird (z. B. Feuchtwiesenprogramm, Nut·<br />
zungsentschädigung für den Verzicht des Einsatzes von<br />
chemischen Pflanzenbehandlungsmitteln auf Ackerrand·<br />
streifen), die Landwirte finanziell für Nutzungsauflagen oder<br />
-verbote zu en tschädigen.<br />
Nordrhein-Westfalen hat mit seinem „Aktionsprogramm für<br />
eine stärker ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft" vom<br />
Januar 1985 für den Konfliktbereich Landwirtschaft und <strong>Artenschutz</strong><br />
einen weiteren Schritt in die richtige Richtung unternommen.<br />
Das Aktionsprogramm nennt die Ziele und<br />
Maßnahmen für eine künftig umweltverträglichere Landwirtschaft,<br />
die in Abstimmung mit dem Rheinischen Landwirt-<br />
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