Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege
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Hermann-Josef Bauer<br />
Welche Ursachen führten zu Gefährdung und Ausrottung von Arten?<br />
1 Einführung<br />
Schon immer waren im laufe der Evolution Arten durch naturbedingte<br />
Ursachen gefährdet. Pflanzen- und Tierarten kamen<br />
und gingen, andere blieben unverändert, wieder andere<br />
spalteten sich in Unterarten auf. Kennzeichen dieser evolutionsbedingten<br />
Veränderungen des Artenspektrums war die<br />
Langfristigkeit: Artenverschiebungen vollzogen sich in geologischen<br />
Zeiträumen.<br />
Seitdem der Mensch in Natur und Landschaft eingegriffen<br />
hat, finden die Veränderungen in immer rasanterem Tempo<br />
statt, so daß heute ständig lokal, regional und global Arten<br />
aktiv ausgerottet werden. Nicht immer kommt es zur völligen<br />
Ausrottung der Art. Aber die Roten Listen zeigen, daß<br />
regional sehr wohl Arten dezimiert oder völlig beseitigt werden.<br />
Die Aussterberate steigert sich ständig!<br />
Während im laufe der Evolution aussterbende Arten „ stellenäquivalent"<br />
im Zuge der Besetzung der ökologischen<br />
Nischen durch neue Arten ersetzt wurden, bleiben heute die<br />
Nischen leer, d.h. die Funktionen der vernichteten Arten<br />
werden nicht mehr erfüllt, wodurch die gesamten Ökosysteme<br />
verändert und gestört werden und schließlich zusammenbrechen<br />
(s. Tabelle 1).<br />
Darum ist <strong>Artenschutz</strong> eine zwingende Notwendigkeit! Es<br />
geht letztlich nicht nur um die Erhaltung der Einzelarten und<br />
Lebensgemeinschaften, sondern um Sicherung oder Zusammenbruch<br />
der Ökosysteme. Bekanntlich hat jede Art<br />
eine zwingend notwendige Funktion in den Ökosystemen -<br />
(Die Natur leistet sich nicht den Luxus nutzloser Dinge!) -,<br />
so daß <strong>Artenschutz</strong> zugleich Ökosystemschutz ist.<br />
Für jedes Ökosystem existiert im Gesamt-Naturhaushalt<br />
eine andersartige Zielbestimmung. Daran hat sich der <strong>Artenschutz</strong><br />
auszurichten. <strong>Artenschutz</strong> bedarf keiner wie auch<br />
immer gearteten Begründung. <strong>Artenschutz</strong> ist die Sicherung<br />
des Sollziels der funktionstüchtigen Ökosysteme. <strong>Artenschutz</strong><br />
betreibt daher weder ein Raritätenkabinett noch eine<br />
kleinflächige Lokalpolitik. <strong>Artenschutz</strong> bedeutet auch nicht<br />
„konservieren", sondern ist im Sinne des englischen Begriffs<br />
„preservation" als vorsorglicher Schutz in die Zukunft<br />
gerichtet, will also die natürliche Evolution garantieren. <strong>Artenschutz</strong><br />
sichert im Überleben der Einzelarten flächendekkend<br />
und global die Funktionstüchtigkeit der einzelnen<br />
Ökosysteme und im Verbundsystem der Ökosysteme deren<br />
Interdependenz. <strong>Artenschutz</strong> sichert damit letztlich die Lebensgrundlagen<br />
der menschlichen Existenz.<br />
2 Naturbedingte Gefährdungsursachen<br />
Als erste Gruppe von Gefährdungen können naturbedingte<br />
Ursachen genannt werden. Die Gefährdungsursachen geologischer<br />
Zeiträume (Gebirgsbildungen, Eiszeiten) können<br />
hier vernachlässigt werden. Heute sind grundsätzlich gefährdet<br />
Arten mit<br />
Vorkommen an der Grenze des Verbreitungsareals oder<br />
im Inselareal<br />
von Natur aus geringer lndividuenzahl in wenigen (Sonder-)<br />
Biotopen.<br />
SUKOPP (1972) zählt folgende Charakteristika gefährdeter<br />
Pflanzenarten auf:<br />
- Stenözie, d.h. Vorkommen unter konstanten Bedingungen<br />
in eng begrenzten Biotopen in strenger Anpassung<br />
an die jeweiligen spezifischen Biotope (stenöke Arten)<br />
- beschränktes Verbreitungsgebiet<br />
- Kurzlebigkeit der Samen, spezialisierte Keimbedingungen,<br />
langsames Wachstum der Keimlinge<br />
- Samenproduktion auch unter günstigen Umweltbedingungen<br />
selten und gering<br />
- Fremdbestäubung nur durch einen spezialisierten Blütenbesucher<br />
- keine speziellen Einrichtungen (Rosetten, Überwachsen,<br />
Stoffausscheidungen) zur Konkurrenz mit anderen Arten.<br />
Konkurrenzschwach sind einheimische Arten besonders<br />
gegenüber eingeschl.eppten Arten (Neophyten,<br />
z.B. Topinambur an den Flußufern).<br />
3 Anthropogene Gefährdungsursachen<br />
Als zweite Gruppe, weit schwerwiegender, weil als Eingriffe<br />
mit direkten und indirekten Folgen zu werten, sind die anthropogenen<br />
Gründe zu nennen.<br />
3. 1 Strukturelle und funktionale Gegensätze zwischen naturnaher<br />
und übernutzter Kulturlandschaft<br />
Zur Dokumentation der Gefährdungssituation und zur Erklärung<br />
der grundsätzlichen Problematik sind in Tabelle 1 die<br />
strukturellen und funktionalen Gegensätze zwischen der<br />
ehemaligen Naturlandschaft bzw. naturnahen Kulturlandschaft<br />
und der heutigen „ übernutzten' '. Kulturlandschaft gegenübergestellt.<br />
Diese Gegensätze verdeutlichen die Ursachen,<br />
die zwangsläufig zur Gefährdung und Ausrottung von<br />
Arten führen müssen.<br />
3.2 Grundsätzliche Gefährdungsursachen<br />
Nachfolgend werden einige grundsätzliche und summarische<br />
Gefährdungsursachen für Pflanzen und Tiere aufgeführt:<br />
- Gravierender als die direkten Eingriffe des Menschen<br />
durch Fang, Jagd, Sammeln, Handel, Ausgraben und<br />
Zerstörung von Brutstätten sind die indirekten Einwirkungen<br />
wie Zerstörung des Lebensraumes, Anwendung<br />
von Umweltgiften oder die Folgen der Freizeitaktivitäten.<br />
„Diese indirekten Eingriffe bestehen aus zahlreichen<br />
additiv und akkumulativ wirkenden Einzelprozessen"<br />
(HEYDEMANN 1980).<br />
Durch wirtschaftliche Interessen bed ingte totale Raumbeanspruchung,<br />
intensive Landnutzung durch Land- und<br />
Forstwirtschaft sowie flächendeckende Immissionsbelastungen<br />
haben alle natürlichen Biotope zerstört. Im<br />
besten Falle kann noch von naturnahen Biotopen gesprochen<br />
werden. Auch die Alpen Ober der Waldgrenze<br />
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