Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege
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es schon, wenn ein Kraut oder ein Käfer ausstirbt? - so<br />
wird gefragt. Die Antwort lautet in der Regel, daß man dies<br />
bei einer Art selten sagen könne, daß aber bei der Ausrottung<br />
sehr vieler Arten, wie es weltweit zu befürchten ist, die<br />
Wahrscheinlichkeit einer Selbstschädigung des Menschen<br />
steige.<br />
Hier soll nicht widersprochen werden, jedoch scheint die Argumentation<br />
des Naturschutzes oft defensiver als nötig.<br />
Wer sich näher mit den Tatsachen befaßt, stellt fest, daß die<br />
Nützlichkeit von wilden Arten keineswegs nur immer vage<br />
vermutet werden kann, sondern allgemein unterschätzt<br />
wird. Wir geben im folgenden einige Beispiele (ausführliches<br />
Material in EHRLICH & EHRLICH 1981, MYERS 1979,<br />
MYERS 1983, PRESCOTI-ALLEN & PRESCOTT-ALLEN<br />
-1982, SCHLOSSER 1982):<br />
Ernährungssicherung: Quantitativ gesehen ernährt sich der<br />
heutige Mensch hochspezialisiert, fünf Getreidearten (Weizen,<br />
Reis, Mais, Gerste und Hirse) liefern über 50 % der Nahrungsenergie.<br />
Daneben werden jedoch über 3000 Pflanzenarten<br />
auf der Erde gegessen (ALTSCHUL 1973, USHER<br />
1974). Nach Schätzungen wären ca. 80000 Arten, oder 1/3 der<br />
wissenschaftlich erfaßten Farn- und Blütenpflanzen eßbar<br />
(MYERS 1979). Auf der Kulturstufe der Jäger, Sammler und<br />
Fischer, oder während 99 % seiner bisherigen Lebenszeit<br />
als Art, hat der Mensch vieles von dem, was eßbar ist, auch<br />
genutzt, physiologisch gesehen zu seinem Vorteil. Die Ernährung<br />
der heute noch existierenden altsteinzeitlichen<br />
Völker auf der Erde, z. B. der Buschmänner, ist auf Grund ihrer<br />
Vielseitigkeit gesünder als die vieler Ackerbaukulturen<br />
(LEACH 1976). Es gibt keinen Grund, die heutige extreme Ernährungsspezialisierung<br />
auf lange Sicht als unabänderlich<br />
zu betrachten.<br />
Auch in Mitteleuropa wird Ober die aus ökonomischen Gründen<br />
erzwungene Verarmung der Speisekarte geklagt, vor allem<br />
bei pflanzlichen Produkten. Die Tabelle 3 stellt einige<br />
Gemüse-, Salat- und Gewürzpflanzen zusammen, die früher,<br />
z. T. vor noch nicht allzu langer Zeit, auch genutzt wurden.<br />
Einige von ihnen sind schon in der gesamten Bundesrepublik<br />
gefährdet.<br />
Unbestritten ist die Notwendigkeit, Verwandte von Kulturpflanzen<br />
und damit Material zur Einkreuzung erwünschter<br />
Gene zu erhalten. Weizen besitzt etwa 30 nahe Verwandte<br />
von Artrang aus den Gattungen Triticum und Aegilops (ZO<br />
HARY 1970), Reis etwa 25 (CHANG 1970). Die Kartoffel besitzt<br />
Dutzende naher Verwandter, die in kostspieligen Expeditionen<br />
in Mittel- und Südamerika gesammelt wurden,<br />
nachdem es zu den bekannten katastrophalen Mißernten<br />
auf Grund mangelnder Resistenz (Irland 1843) gekommen<br />
war. Die Kulturpflanzenverwandten sind nicht nur in der<br />
Dritten Welt gefährdet, sondern teilweise auch bei uns. Ein<br />
Beispiel aus der Bundesrepublik ist Lactuca saligna (Weiden-Lattich,<br />
Gefährdungsgrad 2), der zur Einkreuzung von<br />
Blattlausresistenz in Salat verwendet wurde (RUSSELL<br />
1978).<br />
Eine Verschärfung des Problems ergibt sich daraus, daß die<br />
Kulturpflanzen selbst einem starken Diversitätsverlust ausgesetzt<br />
sind. Das Erbgut hunderttausender von Populationen<br />
von Landsorten, welche in den vergangenen 10000 Jahren<br />
in einem „unwiederholbaren Pflanzenzuchtexperiment"<br />
(BEN NETT 1978) en tstanden, geht durch die heutige Sortenvereinheitlichung<br />
innerhalb weniger Jahrzehnte verloren; ob<br />
die bisher ergriffenen Gegenmaßnahmen, wie die Einrichtung<br />
von Genbanken, die Verluste in den Diversitätszentren<br />
ausgleichen können, kann nur nach längerer Erfahrung beurteilt<br />
werden (FRANKEL & BENNETT 1970, FRANKEL &<br />
HAWKES 1975).<br />
Pharmaka: Nicht nur die alternative Praxis (z. B. die Homöopathie),<br />
sondern durchaus auch die konventionelle<br />
Tab. 3: Früher in Mitteleuropa genutzte Gemüse-, Salatund<br />
Gewürzpflanzen. Heutiger Gefährdungsgrad in Klammern<br />
(vgl. BLAB et al. 1984). zusammengestellt nach FRAN<br />
KE 1976, ergänzt.<br />
Pastinaca sativa (Pastinak)<br />
Oenothera biennis (Nachtkerze)<br />
Chaerophyllum bulbosum (Knollen-Kälberkropf)<br />
Crambe maritima(Meerkohl) (4)<br />
Barbarea vulgaris (Barbarakraut)<br />
Cochlearia officinalis (Echtes Löffelkraut) (3)<br />
Trapaeolum majus (Kapuzinerkresse)<br />
Atriplex hortensis (Gartenmelde)<br />
Beta vul garis ssp. vulgaris (Mangold)<br />
Rumex acetosa (Sauerampfer)<br />
Urtica dioica (Brennessel)<br />
Taraxacum officinale (Löwenzahn)<br />
Cichorium intybus (Zichorie)<br />
Hippophae rhamnoides (Sanddorn)<br />
Sambucus nigra (Schwarzer Holunder)<br />
Sambucus racemosa (Traubenholunder)<br />
Rosa spec. (Rosen)<br />
Mespilus germanica (Echte Mispel)<br />
Crataegus monogyna (Eingriff. Weißdorn)<br />
Crataegus laevigata (Zweigriff. Weißdorn)<br />
Acorus calamus (Kalmus)<br />
Angelica archangelica (Engelwurz)<br />
Ruta graveolens (Weinraute)<br />
Anthriscus cerefolium (Gartenkerbel) (3)<br />
Portulaca oleracea (Portulak)<br />
Borago officinalis (Boretsch)<br />
Hyssopus officinalis (Ysop)<br />
Caltha palustris (Sumpfdotterblume)<br />
Allium ursinum (Bärenlauch)<br />
Sedum reflexum (Tripmadam)<br />
Oxalis acetosella (Sauerklee)<br />
lnula helenium (Echter Alant)<br />
Sanguisorba minor (Kleine Pimpinelle)<br />
Bellis perennis (Gänseblümchen)<br />
Aegopodium podagraria (Giersch)<br />
Stellaria media (Vogelmiere)<br />
Galinsoga parviflora (Knopfkraut)<br />
„Schulmedizin" hängt in starkem Maße von natürlichen Drogen<br />
ab. Im Jahre 1973 enthielten 42 % aller in den USA auf<br />
Rezept verkauften Medikamente Naturprodukte, etwa 25 %<br />
aus Samenpflanzen, 14 % aus Mikroorganismen und 3 %<br />
aus tierischen Erzeugnissen (FARNSWORTH & BINGEL ·<br />
1976). Die meisten der verwendeten Rohextrakte und Reindarstellungen<br />
sind nicht zu akzeptablen Preisen synthetisch<br />
herstellbar. Dabei sind nur wenige Prozent aller Pflanzen<br />
Oberhaupt auf ihre Inhaltsstoffe untersucht worden, der<br />
bisher genutzte Teil der chemischen Diversität in der Natur<br />
ist nur die Spitze eines Eisbergs (SCHULTES 1972, SWAIN<br />
1972). Besonderes Interesse finden Wirkstoffe gegen Krebserkrankungen,<br />
nachdem mit den Präparaten „Vincristin"<br />
und „Vinblastin" aus Catharanthus roseus (Apocynaceae)<br />
Erfolge gegen Leukämien bei Kindern und gegen die Hodgkinssche<br />
Krankheit erzielt wurden (CORDELL 1976). Die Tabelle<br />
4 (folgende Seite) listet eine Reihe in Mitteleuropa heimischer<br />
oder eingebürgerter Pflanzen auf, die im Laborversuch<br />
krebshemmende Eigenschaften aufweisen, ohne daß<br />
sie allerdings schon klinisch verwendet werden. Ein Beispiel<br />
für eine unersetzliche Heilpflanze ist die Mariendistel<br />
(Silybum marianum), die auch in Ballungsgebieten aus Gärten<br />
verwildert und deren Extrakt das einzige bisher bekannte<br />
Mitt.el gegen sonst tödliche Leberkrankheiten ist (VOGEL<br />
1976).<br />
Bei zahlreichen Präparaten, die heute wirtschaftlicher auf<br />
synthetischem Wege gewonnen werden, erfolgten Entdek-<br />
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