Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege
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unseres technisch-wirtschaftlichen und konsumatorischen<br />
Handelns die Natur zur Sprache zu bringen, keine Liebe zur<br />
Vielfalt der Arten, kein <strong>Artenschutz</strong>. Unter der Voraussetzung<br />
einer solchen Wertbesinnung würden unsere Umweltgesetze<br />
auch ganz anders aussehen als bisher, wäre es keine<br />
Ungeheuerlichkeit, 10 oder 20 % der land- und forstwirtschaftlich<br />
genutzten Flächen unter Schutz zu stellen.<br />
Bei der Verwirklichung jener umfassenden Verpflichtungsgemeinschaft<br />
zwischen Mensch und Natur geht es nicht nur<br />
darum, das natürlich Gewordene unverändert für die Zukunft<br />
zu bewahren. Die Kunst, die uns bei der Gestaltung<br />
des zivilisatorischen Fortschrittsprozesses abverlangt ist,<br />
muß vielmehr darauf gerichtet sein, im Fortschreiten die Garantie<br />
für das Bestehende zu erneuern und aus dem Gewordenen<br />
Neues werden zu lassen. Die gemeinsame Geschichte<br />
von Mensch und Natur geht weiter, aber sie ist dem Menschen<br />
als dem, in dem die Natur zum Bewußtsein ihrer<br />
selbst kommt, auf besondere Weise anvertraut. Alles das,<br />
was hier zur Erläuterung zu sagen wäre, bündelt sich wiederum<br />
in Reflexionen früherer Zeiten: Auf dem Grab des berühmten<br />
Renaissance-M alers RAFFAEL steht der Spruch<br />
„Hier ruht <strong>Rat</strong>fael, dem, als er lebte, die Natur zu erliegen<br />
drohte, und um den, als er starb, die Natur trauerte".<br />
RAFFAEL, so will dieser Spruch uns sagen, gelang es, mit<br />
den Mitteln seines künstlerischen Schaffens das in der Na-·<br />
tur liegende zu entbinden, so daß die Natur mit seiner Hilfe<br />
Ober sich selbst hinausgeführt wurde. Dies war kein tödlicherTriumph,<br />
sondern ein Sieg, der der Natur diente. Und so<br />
kommt es, daß die Natur über den Tod Raffaels trauert. Raffaels<br />
Grabspruch weist nach vorn, er verpflichtet dazu, jeden<br />
Eingriff in die Natur so zu gestalten, daß ihre Vielfalt<br />
Garantie für neues Werden nach Anordnung der Zeit bietet.<br />
Konsequenzen:<br />
1. Einer naturberücksichtigenden Ethik bedürfen vor allem<br />
die, die Arten bedenkenlos auslöschen, und die, die nicht<br />
verstehen, was geschieht, wenn Jahr für Jahr Arten unwiederbringlich<br />
von der Erdoberfläche verschwinden.<br />
2. <strong>Artenschutz</strong> kann nur gelingen, wenn Ethik aus dem Bewußtsein<br />
des Doppelbezugs Mensch-Natur/Natur-Mensch<br />
gedacht wird.<br />
3. Eine naturberOcksichtigende Ethik kann nur in Re lationen<br />
einer sich wechselseitig herausfordernden Partnerschaft<br />
eingeübt werden . Dabei sind die Bedürfnisse des<br />
Natursubjektes durch den Menschen quantitativ und<br />
qualitativ zu erheben.<br />
4. Bei der Verwirklichung einer naturberückslchtigenden<br />
Ethik geht es vor allem auch um den konkreten Raumbezug,<br />
um die Relation Art und Biotop, aber auch um Flächenschutz<br />
und Landschaftsschutz im Gegenober zu<br />
den Interessen von Forst- und Landwirtschaft, Industrie,<br />
Kommunen, Ländern und Bund.<br />
5. Der <strong>Artenschutz</strong> kämpft auf verlorenem Posten, wenn er<br />
nicht durch flankierende Maßnahmen zur ökologischen<br />
Orientierung von Technik, Produktion und Konsum begleitet<br />
wird. Zu den Grundsätzen einer solchen Gesamtstrategie<br />
gehören u.a.: Nutzungsverbesserung knapper<br />
natürlicher Vorräte (z. B. Energie), Erhöhung der Dauerhaftigkeit<br />
industrieller Produkte, Unterstützung der Regenerationspotentiale<br />
in der nichtmenschlichen Natur,<br />
Limitation des Flächenbedarfs bei der Siedlungs- und lnfrastruktu<br />
rplanu ng.<br />
6. Das Hineinwachsen in das „ Erlebnis" der Artenvielfalt<br />
ist eine denkbar günstige Voraussetzung für ein gewandeltes<br />
Mensch-Natur-Verhältnis. Hier liegen immer noch<br />
große Möglichkeiten und Verpflichtungen für Schule und<br />
Hochschule.<br />
7. Die gelungene Bewahrung der Artenvielfalt - immer bezogen<br />
auf Biotop, Landschaft und Infrastruktur - ist das<br />
beste Indiz fü r eine gelungene Revision der Defizite im<br />
Mensch-Natur-Verhältnis.<br />
8. Ohne die Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt in<br />
dem hier vorgestellten radikalisierten ethischen Sinne<br />
bleibt der <strong>Artenschutz</strong> zum Scheitern verurteilt.<br />
9. Die Ermittlung der Bedürfnisse unter der Voraussetzung<br />
eines subjektbezogenen Naturbegriffs stellen vor<br />
schwierige methodische Probleme. 7)<br />
7) Vgl. dazu G. ALTNER, Wahrnehmung der Interessen der Natur -<br />
Bestimmung des Eigenrechts der Natur und Möglichkeiten, dieses<br />
im Zivilisationsprozeß zur Geltung zu bringen, in: Kl.M. MEYER-AB<br />
ICH (Hrsg.), Frieden mit der Natur, Freiburg 1979, S . . 112 ff.<br />
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