27.04.2014 Aufrufe

Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege

Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege

Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Areal vom Aussterben bedroht sind, nur in relativ wenigen<br />

Fällen von Bedeutung. Zentrales Problem ist vielmehr das<br />

Verschwinden lokaler Populationen, ohne daß diese an anderer<br />

Stelle In gleichem Umfang durch Neugründungen ersetzt<br />

werden.<br />

An sich ist das Aussterben lokaler Populationen ein natürlicher<br />

Vorgang, der alle Tier- und Pf lanzenarten betrifft, allerdings<br />

in von Art zu Art sehr verschieden langen Zeitintervallen.<br />

Bei vielen Arten, so z.B. bei typischen Pionierarten, ist<br />

das Aussterben einzelner Populationen in Verbindung mit<br />

sehr effektiven Mechanismen der Besiedlung neu entstandener<br />

Lebensräume sozusagen „eingeplant" (BOER 1979,<br />

WILSON u. BOSSERT 1973). Nach MIOTK (1979) weicht die<br />

Solitäre Wespe Odyneons spinipes einer bestandsbedrohend<br />

starken Parasitierung durch verschiedene Goldwespen<br />

durch häufige Bestandsneugründungen aus. langfristig<br />

muß sich örtliches Verschwinden und die Gründung<br />

neuer Populationen in etwa die Waage halten, eine Voraussetzung,<br />

die für sehr vi ele Arten in unserer mitteleuropäischen<br />

Kulturlandschaft bei weitem nicht mehr erfüllt ist.<br />

Der Bestandsabnahme gefährdeter Tierarten allein oder<br />

überwiegend durch Programme der Biotopneuschaffung begegnen<br />

zu wollen, wird jedoch den vielschichtigen ökologischen<br />

Erfordernissen, die die „ Eignung" eines Lebensraumes<br />

für die Neubesiedlung einer bestimmten Art bestimmen,<br />

nicht gerecht. So entscheidet neben der Lebensraumausstattung<br />

u.a. die Abfolge der besiedelnden Arten, Konkurrenzbeziehungen,<br />

Lebensraumgröße, zu überbrückende<br />

Entfernung, die Vermehrungsrate in potentiellen Besledlungsquellen<br />

und vieles mehr darüber, ob eine Art einen neu<br />

entstandenen Lebensraum tatsächlich dauerhaft besiedeln<br />

kann. Nur so kann erklärt werden, daß z.B. bestimmte an vegetationsarme<br />

Sandflächen gebundene (flugfähige!) Hautflüglerarten<br />

nach wie vor nur an wenigen Rellktstandorten<br />

in Deutschland bestätigt werden können, obwohl offene<br />

Sandflächen durch verschiedene Maßnahmen des Menschen<br />

auch zur Zeit noch in größerem Umfang neu entstehen.<br />

Maßnahmen des <strong>Artenschutz</strong>es sollten deshalb vorrangig<br />

auf jene Arten ausgerichtet sein, die allein schon aufgrund<br />

ihrer Lebensweise überproportional stark auf Landschaftsänderungen<br />

mit dem Aussterben lokaler Populationen<br />

reagieren. Wie verschiedene Untersuchungen erkennen<br />

lassen, sind hiervon in erster Linie Arten betroffen, die natürlicherweise<br />

in geringer lndividuendichte auftreten. Dies<br />

können sein:<br />

- Arten an ihrer Verbreitungsgrenze (z.B. Uferschnepfe)<br />

- Arten mit überall geringer Populationsdichte (z.B. Wanderfalke)<br />

- Arten, die auf stark punktuell vereinzelte Habitate bzw.<br />

auf räumlich und zeitlich unregelmäßig auftretende Ressourcen<br />

spezialisiert sind (z.B. viele mono- oder oligophage<br />

Insekten, Parasiten, Kommensalen, viele sog. Pionlerarten).<br />

Unter Berücksichtigung der erforderlichen Mindestpopulationsgrößen<br />

ist der Flächenanspruch gerade für solche Arten<br />

besonders hoch und dürfte die Durchschnittsfläche der<br />

deutschen Naturschutzgebiete selbst bei vielen Wirbellosen<br />

bei weitem übersteigen.<br />

Es bleibt zudem fraglich, ob die nachhaltige Bestandssicherung<br />

solcher Arten überhaupt über Schutzgebiete erreicht<br />

werden kann. Nach der Inseltheorie (MACARTHUR & WIL­<br />

SON 1967) besteht bei marinen Inseln unter ungestörten<br />

Verhältnissen ein direkter Zusammenhang zwischen der Artenzahl<br />

und der Inselfläche. Die Schlußfolgerungen der Inseltheorie<br />

können im wesentlichen, unter Beachtung verschiedener<br />

Randbedingungen, auf sog. Habitatinseln des<br />

Festlandes übertragen werden. Wird eine Insel plötzlich verkleinert,<br />

So befinden sich auf der Restfläche i.d.R. mehr Ar·<br />

ten, als der Kapazität der Fläche entspricht. Die nunmehr im<br />

Ungleichgewicht befindliche Biozönose strebt Ober einen<br />

Prozeß, der als „ Entspannung" bezeichnet wird, einem neu·<br />

en, artenärmeren Gleichgewicht zu, das nur Ober das Aussterben<br />

einzelner Arten erreicht werden kann. Betroffen<br />

sind insbesondere die oben genannten Artentypen. Solche<br />

Vorgänge der Verkleinerung von Habitatinseln laufen in großem<br />

Umfang derzeit im Umfeld unserer Schutzgebiete ab.<br />

War dieses vor wenigen Jahrzehnten für viele Arten des<br />

Schutzgebietes zumindest noch teilweise nutzbar, so bietet<br />

es inzwischen häufig durch Nutzungsintensivierung keine<br />

Lebensmöglichkeiten für diese Arten mehr. Beispiele sind<br />

die früher meist ungenutzten oder nur extensiv genutzten<br />

Randbereiche von Mooren, die Landschaftselemente um<br />

Stillgewässer (Amphibien, Insekten mit aquatischen Larvenformen)<br />

oder die Umgebung von Magerrasen (Nahrungsräume<br />

fü r thermophile Insekten). Selbst bei noch so optimaler<br />

Pflege ist deshalb nach der Inseltheorie das Aussterben<br />

weiterer Arten in unseren Schutzgebieten zu erwarten, das<br />

um so gravierender sei n sollte, je intensiver die Landnutzung<br />

im Umfeld zugelassen wird. Auf marinen Inseln laufen<br />

solche Entspannungsprozesse offensichtlich sehr langsam<br />

ab. Etliche Hinweise sprechen aber dafür, daß auf den meist<br />

sehr viel kleineren Habitatinseln des Festlandes ein Rückgang<br />

empfindlicher Arten bereits nach wenigen Jahrzehnten<br />

deutlich wird. So untersuchte WILLIS (aus SOULE &<br />

WILCOX 1980) 3 verschieden große Waldreste in Brasilien,<br />

die im Verlauf der letzten 150 Jahre aus der ursprünglich geschlossenen<br />

Waldbedeckung des Gebietes entstanden waren.<br />

Bereits in diesem relativ kurzen Zeitraum hatte der<br />

kleinste Waldrest von immerhin noch 21 ha Größe 62% seiner<br />

ehemaligen Brutvogelfauna verloren. Aus dem größten<br />

Waldrest von 1400 ha Fläche verschwanden noch 14% der<br />

Arten.<br />

MADER (1983) konnte zeigen, daß das lokale Aussterben<br />

empfindlicher (stenotoper) Tierarten auf kleinen Habitatinseln<br />

keineswegs mit einer Abnahme der Artenzahl insgesamt<br />

verbunden sein muß. Im Gegensatz zu Meerinseln<br />

wandern vielmehr in die bei kleinen Habitatinseln prozentual<br />

größeren Randbereiche eurytope Arten der Umgebung<br />

ein und bedingen mitunter insgesamt eine Zunahme des Artenreichtums,<br />

allerdings auf Kosten der oft konkurrenzschwachen<br />

stenotopen Arten. Diese Überlegungen machen<br />

deutlich, daß Artenreichtum als solcher gerade bei Tieren<br />

oft kein geeignetes Kriterium für die Beurteilung des Zustandes<br />

bzw. der Schutzwürdigkeit der einzelnen Gemeinschaft<br />

ist.<br />

Überhaupt ist bei der (ausschließlichen) Verwendung der<br />

üblichen ökologischen Parameter wie Artenzahl, Individuendichte<br />

oder Diversität für die Bewertung von Tierbeständen<br />

aus Naturschutzsicht Vorsicht geboten, zumal diese ursprünglich<br />

für andere Fragestellungen eingeführt und definiert<br />

wurden. Dies gilt insbesondere, wenn nur Datenmaterial<br />

zu wenigen Tiergruppen vorliegt. So können artenarme<br />

Ökosysteme mit vielfach niedrigen Dlversitätsparametern<br />

(z.B. Schilfröhricht) doch eine ganze Reihe bedrohter Arten<br />

(z. B. Rohrsänger, Taucher, Zwergrohrdommel) beherbergen,<br />

während andererseits individuen- und artenreichere Ökosysteme<br />

einen geringeren Schutzwert besitzen können als<br />

ähnliche, jedoch individuenärmere Typen (z.B. eutropheroligotropher<br />

Bachlauf).<br />

3.4 Vernetzung<br />

Die Schlußfolgerungen der beiden vorstehenden Abschnitte<br />

gehen von einer weitgehenden oder vollst ändigen Isolation<br />

der Populationen untereinander aus. Der Flächenanspruch<br />

des Tierartenschutzes ist unter dieser Bedingung sehr<br />

hoch. Viele landschaftsverändernde Eingriffe v.a. im Be·<br />

reich Landwirtschaft und Straßenbau wirken seit Jahrzehnten<br />

stark in Richtung auf ei ne zunehmende Isolation (und<br />

bedingen nach obigen Fachkriterien im übrigen einen höheren<br />

Flächenanspruch für die Schutzgebiete). Soweit über-<br />

624

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!