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Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege

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Humusformen. Er würde 500 Organismen-Arten benennen,<br />

die der Wald benötigt, um diesen Humus regelmäßig herzustellen.<br />

Er würde sagen, daß der Wald alle 500 Arten als Produzen·<br />

ten von bestimmten Stufen oder Vorstufen von Humus ausnahmslos<br />

benötigt. Er würde die Vielfalt der Habitate als<br />

Kleinstrukturen des Wirtschaftsbetriebes „ Wald" nennen<br />

und jeden Quadratmeter dieser Fläche als für die „Arbeitsplätze"<br />

der Organismen in der Natur entscheidend wichtig<br />

herausstellen. Aber man würde dem Vertreter des Naturschutzes<br />

- trotz gleichartiger und stichhaltiger Argumente<br />

im Vergleich mit dem Vertreter der Wirtschaft - einen Kre·<br />

dit zum Schutz dieser 500 Arten des Waldbodens für genügend<br />

große Flächen wahrscheinlich trotzdem nicht gewähren<br />

. Man würde stattdessen vielleicht sogar eine Straße<br />

durch den zu schützenden Produktionsort „Wald" legen; die<br />

Organismen und ihre „Arbeitsplätze" würden dabei verschwinden.<br />

Die ökologische Argumentation des Vertreters des Naturschutzes<br />

hat also - für sich genommen - im Beispiel<br />

nicht genügt. Die Inhalte wichtiger ökologischer Argumentationen<br />

übersteigen immer noch - aufgrund mangelnden<br />

ökologischen Wissens - die Vorstellungskraft der Entscheidungsträger,<br />

in diesem Beispiel der Straßenplaner.<br />

Der Wirtschaftler hätte dagegen - ich wiederhole dies -<br />

die angestrebte Palette der Produktion nur kurz mit den für<br />

notwendig gehaltenen Strategien vorzustellen. Alles andere<br />

wären dann formelle Genehmigungspunkte. Die betreffende<br />

Firma könnte mit der Herstellung ihrer Produktion in der Regel<br />

bald beginnen.<br />

Der bet reffende Wirtschaftsbetrieb würde möglicherweise<br />

eine Vielfalt von Waren produzieren, die er vom Typus her<br />

selber bestimmen kann. Er fragt nur, ob der Markt diese<br />

Warentypen annehmen würde. Ökologisch gesehen produziert<br />

der Wirtschaftler „ Vielfalt an Arten". Der Wirtschaftler<br />

wü rde dabei auch selbst entscheiden, ob er sich mit einer<br />

ubiquistischen Produktion am Markt durchsetzen will, also<br />

mit einem vielfältigen Allround-Warenangebot, das er global<br />

streut oder das global gebraucht wird. Oder der Wirtschaftler<br />

würde eigenhändig bestimmen, ob er seine Ware<br />

nur für einen speziellen Abnehmerkreis produzieren will,<br />

also statt „ euryöker" Waren die „ stenöken", die spezial i­<br />

sierten Produkte herstellen möchte. „ Allerweltsware" oder<br />

„spezialisierte Produktion" - das sind nach ökonomischer<br />

Bewertung „gleichwertige", aber nicht „gleichartige" Zielsetzungen<br />

in bezug auf ihren ökonomischen Stellenwert -<br />

je nach Marktlage.<br />

So laufen in der Wirtschaft kurzfristig Entscheidungen nach<br />

Vielfalt, nach Langfristigkeit, nach Produkt-Management,<br />

nach Ausbreitungstyp, nach finanzieller Stützung einzelner<br />

Produkte, nach Werbung, bis sie vom Markt akzeptiert werden.<br />

Der Unternehmer stützt seine Vorhaben mit Theorien<br />

und Empfehlungen aus der ökonomischen Wissenschaft,<br />

bis hin zum Wissenschafts-Transfer aus der Technologie­<br />

Praxis, mit dem Know-how aus Forschung und Entwicklung.<br />

Wenn der Wirtschaftler am Markt mit seiner Produktion Erfolg<br />

hatte, muß er nicht mehr nachweisen, ob es sinnvoll<br />

war, die Ware Oberhaupt zu produzieren. Die Produktion mit<br />

anschließendem Gewinn ist also Begründung genug.<br />

Wenn die Herstellung der entsprechenden Produktionsstätte<br />

ein Stück Umwelt mit zahlreichen Populationen verschie·<br />

dener Arten zerstört hat, ist das ein „ökonomischer Zwang".<br />

Wenn die laufende Produktion die Umwelt ständig belastet,<br />

wird das zu einer „Sache der Abwägung" im Hinblick auf die<br />

Arbeitsplätze und finanzielle Zusatzbelastungen für diesen<br />

Betrieb gemacht. Der dargestellte Ablauf der Überlegungen<br />

ist eingefahren. Unmittelbare Folgen wird das Unternehmen<br />

aus dem Ausfall von Arten, die zwangsläufig durch die Pro·<br />

duktion entstehen, nicht spüren. Folgen könnte ein solches<br />

Unternehmen nur dann zu spüren bekommen, wenn es sich<br />

um eine landwirtschaftlich ausgerichtete Produktion handelt<br />

und beispielsweise gerade mit einem Breitband-Insektizid<br />

die Nützlinge vernichtet wurden, die späterhin für biologische<br />

Schädlingsbekämpfungs-Maßnahmen wiederum gebraucht<br />

werden.<br />

18 <strong>Artenschutz</strong> und die ökologische Argumentation<br />

Der Ökologe, der erfolgreichen <strong>Artenschutz</strong> an vielen kleinen<br />

Beispielen in vielen kleinen Arealen mit vielen Begründungen<br />

- gewissermaßen als Modellbeispiele - vorweisen<br />

kann, muß trotz allem in ständiger Wiederholung immer<br />

wieder begründen, warum er <strong>Artenschutz</strong> will und muß beweisen,<br />

daß dieses im Einzelfall unabwendbar notwendig<br />

ist. Dann muß der Ökologe vielleicht noch abwägend begründen,<br />

in welchem Umfang der <strong>Artenschutz</strong> gerade an einem<br />

bestimmten Standort gegenüber anderen Interessen<br />

der Gesellschaft Vorrang haben soll.<br />

Mittlerweile ist es notwendig, daß für alle 130 Ökosystemtypen<br />

in Mitteleuropa die Lebensräume und für 70 000 bis<br />

80 000 Organismen-Arten dieser Ökosysteme die einzelnen<br />

Habitate in den Biotopen besonders geschützt werden. Die<br />

Strategien dafür sind mit aen übrigen Interessen der Gesellschaft<br />

selten konfliktfrei zu entwickeln, und selten sind sie<br />

ohne gesonderten finanziellen Aufwand erreichbar. Je länger<br />

mit der Durchsetzung der <strong>Artenschutz</strong>-Strategien gewartet<br />

wird, desto teurer werden die Schutzmaßnahmen und desto<br />

konfliktreicher werden die Abläufe für den <strong>Artenschutz</strong><br />

sein - auch das sind Folgen eines bisher lange Jahre einfach<br />

hingenommenen Artenausfalls. Für die Erhaltung vieler<br />

der 130 Ökosystemtypen wären jeweils ausführliche Begründungen<br />

anzugeben - das ist von der wissenschaftlichen<br />

Seite her noch.re lativ leicht. Es ist wesentlich schwieriger,<br />

für die 10 000 wichtigsten, in der Regel häufigsten Arten<br />

dem Nicht-Ökologen verständliche Einzelargumente für<br />

den Schutz darzustellen. Diese Argumente müßten auf die<br />

unterschiedlichen Funktionen der Arten in den Ökosystemen<br />

bezogen sein und für jede einzelne Art einzeln abfragbar<br />

sein. Fast noch schwieriger ist es, für die übrigen 60 000<br />

bis 70 000 seltenen Organismen-Arten mehr als eine Sammelbewertung<br />

im Hinblick auf ihre ökologische Bedeutung<br />

abzugeben. Als Sammelbewertung für die Funktion der „seltenen<br />

Arten" im Naturhaushalt kann die Notwendigkeit der<br />

Ergänzung des genetischen Potentials, das die häufigen Arten<br />

darstellen, angesehen werden.<br />

Man sollte die Arbeit meiden, etwa die Funktionen von<br />

Zehntausenden häufiger Organismen-Arten für den Naturhaushalt<br />

in Mitteleuropa katalogmäBig zu erfassen. Denn<br />

solange die Naturschutz-Situation durch die Erfahrung gekennzeichnet<br />

wird, daß selbst eine bis in letzte detaillierte<br />

Faktoren-Erfassung Ober die Bedeutung einer Tiergruppe<br />

bisher nirgendwo für deren Schutz ausgereicht hat, wäre<br />

dies eine überflüssige Arbeit.<br />

19 Mängel der <strong>Artenschutz</strong>-Strategien<br />

Wissenschaftlich verständlich ist es, daß man sich bei <strong>Artenschutz</strong>-Strategien<br />

zunächst auf die leicht determinierbaren<br />

Gruppen wie Libellen, Heuschrecken, Großkäfer, Groß­<br />

Schmetterlinge, Schwebfliegen - zusammen etwa in Mitteleuropa<br />

4000 bis 5000 Arten - stützt. Die Kartierung dieser<br />

Arten ist auch für den Nichtspezialisten nach Einarbeitung<br />

wenigstens zum Teil hinreichend sicher erreichbar.<br />

Das sind aber nur 10% von den 40 000 Insekten-Arten Mitteleuropas.<br />

Dabei fällt auf, daß die für die Existenz der meisten<br />

Ökosysteme besonders bedeutsamen 8000 bis 9000 mittel-<br />

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