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Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege

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Günter Altner<br />

Ethische Begründung des <strong>Artenschutz</strong>es<br />

Persönliche Vorbemerkung:<br />

Meine Lehrer an der Schule und Hochschule haben mir, wofür<br />

ich besonders dankbar bin, in Botanik und Zoologie eine<br />

reiche Artenkenntnis vermittelt. Als ich in den 50er Jahren<br />

mit meinem Studium begann, konnte ich mit bloßem Auge<br />

über 200 Moosarten ansprechen. Ich sage das nicht, um<br />

mich zu brüsten. Mit dieser Artenkenntnis war eine weit darüber<br />

hinausgehende Erfahru ng verbunden. Wenn ich die<br />

Artnamen hörte, oder mich eines bestimmten Arrangemen~s<br />

von Arten erinnerte, sah ich gleichzeitig auch die Biotope<br />

und die einschlägigen Landschaftspartien: feuchte<br />

Schluchtwälder im Bergischen Land, Lößhänge, trockene<br />

Heiden. Ich erlebte die Schönheit der Arten als einen<br />

Rausch von Farben, Formen und Strukturen, sah aber<br />

gleichzeitig auch die Schönheit des Bezugs zwischen Arten,<br />

Biotop und Landschaft. In mir wuchs ein Wertempfinden,<br />

das mich fähig machte, die Zerstörung der Landschaft, die<br />

dann seit den 50er Jahren Schritt für Schritt einsetzte, als<br />

eine Katastrophe zu empfinden und Widerstand dagegen zu<br />

entwickeln.<br />

Grundsätze:<br />

Ethik kann nur bewußt und verpflichtend machen, was ohnehin<br />

als Aufgabe und Verpflichtung empfunden wird. Ethische<br />

Maßstäbe und Handlungsziele können nicht per ordre<br />

de mufti - von oben herab - ve rordnet werden. Der galoppierende<br />

Artentod läßt uns vielmehr erkennen, daß die<br />

Chancen für eine ethische Besinnung schlecht stehen,<br />

sonst könnte es eben diese Zerstörung unter uns nicht geben.<br />

Unser Naturbegriff weist verheerende Defizite auf. Natur<br />

ist für uns zur Ressource pervertiert. Was interessieren<br />

da die Arten?! Und das sitzt sehr tief. Im Bundesimmissionsschutzgesetz<br />

vom März 1974 heißt es: „Zweck dieses<br />

Gesetzes ist es, Menschen sowie Tiere, Pflanzen und andere<br />

Sachen vor schädlichen Umwelteinwirkungen ... zu<br />

schützen".1)<br />

Menschen, Tiere, Pflanzen und andere Sachen! Die Arten<br />

werden erst dann wieder gut bei uns aufgehoben sein, wenn<br />

wir Menschen, Tiere, Pflanzen und Steine als Rechtssubjekte<br />

mit jeweils eigenen Interessen zu respektieren in der<br />

Lage sind. So problematisch der Begriff des Rechtssubjektes<br />

in der Anwendung auf die nichtmenschliche Natur auch<br />

sein mag, er ist jedenfalls hilfreich zur Markierung der ethi·<br />

sehen Verpflichtung, die wir im Blick auf Tier, Pflanze und<br />

Stein heute zum Ausdruck bringen müssen. Mit einem bißchen<br />

ethischen Aufwand im Gefolge menschlicher Eigeninteressen<br />

- um des Menschen willen ist es klug, die Arten<br />

zu erhalten - wird es nicht getan sein. Dafür sind die zurückliegenden<br />

Jahre Beleg.<br />

Die erste Voraussetzung für die Verwirklichung jener<br />

Rechtsgemeinschaft zwischen Mensch und Natur ist die<br />

Erinnerung an eine lange gemeinsame Geschichte, die Natur<br />

und Mensch miteinander. werden ließ. Das wissen wir ja<br />

nicht erst seit Charles DARWIN. Das ist Menschheitswissen,<br />

bezeugt in Mythen, Religionen und Ph ilosophien.<br />

Dem Vorsokratiker ANAXIMANDER verdanken wir die Sätze:<br />

„Aus welchen Dingen aber die Genesis ist für die seienden<br />

Dinge. In diese hinein geschieht auch das Vergehen nach<br />

der Schuldigkeit. Denn es geben die Dinge einander Strafe<br />

und Buße für ihre Ungerechtigkeit nach der Anordn ung der<br />

Zeit".2)<br />

Hier wird der Gedanke eines du rchgängigen Werdegesetzes<br />

im Sinne einer Schuld· und Rechtsgemeinschaft auf Zeit<br />

. zum Ausdruck gebrac,ht. Hier wird nichts ausgeklammert.<br />

Die Werdegemeinschaft der „seienden Dinge" umfaßt<br />

Stein", Pflanze, Ti.er und Mensch. In diesen und gerade auch<br />

in der Vielfalt ihre~·Arten, die sich je und je ergab, erscheint<br />

die im Werden -begriffene Natur.<br />

Im Menschen wird die Natur sich ihrer selbst bewußt. Wir<br />

vollziehen unser Natursein dadurch, daß die Natur in uns<br />

zur Sprache und so zu sich selbst kommt. Das ist die Grundlage<br />

dafür, daß wir von uns und von der allgemeineren Natur<br />

Abstand nehmen, aber auch ihr und uns gegenüber Rücksicht<br />

nehmen können. Wir können Rücksicht nehmen gegenüber<br />

uns selbst, gegenüber allen Mitmenschen, gegenüber<br />

allem Lebend igen , aber auch gegenüber allen seienden<br />

Dingen.<br />

Leider ist uns diese Tradition spätestens seit der Renaissance,<br />

seit der Philosophie des Rene DESCARTES verlorengegangen.<br />

Er trennte die denkende Vernunft, die res cogitans,<br />

von der übrigen Natur, die er im Namen der denkenden<br />

und rechnenden Vernunft zur Sache, zum Objekt, zur res extensa,<br />

zur Ressource machte. Der so zum Herrn und Meister<br />

der Natur deklarierte Verstand trat in den folgenden Jahrhunderten<br />

auf der Grundlage von Wissenschaft und Technik<br />

seinen triumphalen, aber auch tödlichen Siegeszug an.3)<br />

Das menschliche Eigeninteresse pervertierte, wie MEYER­<br />

ABICH sagt, zum „Absolutismus im Verhalten des Menschen<br />

zur Natur". 4 ) Und die Ökonomie lieferte die Ideologie<br />

für die Ausbeutungspraxis.<br />

Ist jene andere alte ehrwürdige Tradition von der Natur als<br />

Rechts- und Interessengemeinschaft endgültig aus dem<br />

menschlichen Bewußtsein gestrichen? Ist die Neuzeit zur<br />

Fortsetzung des einmal von ihr eingeschlagenen Weges verdammt?<br />

Die Zeichen der Zeit sprechen dagegen. Unter dem<br />

Druck der Krise im Angesicht des Artentodes belebt sich<br />

qas menschliche Wert bewußtsein. Hartmut BOSSEL hat in<br />

seinem Buch „ Bürgerinit iativen entwerfen die Zukunft" als<br />

ethischen Imperativ der Ökologiebewegung aus einem reichen<br />

Schriftenmaterial die Maxime herausgefiltert: „ Handle<br />

so, daß alle heutigen und zukünftigen lebenden Systeme erhalten<br />

werden können".5)<br />

1) Bundes-Immissionsschutzgesetz (BlmSchG) vom 15. März 1974<br />

2) ANAXIMANDER, Fragmente, in: DIE LS-KRANZ, Fragmente der<br />

Vorsokratiker, Berlin 1951 (in der Übers. von W. Schadewaldt)<br />

3) G. AL TNER, Technisch-wissenschaftliche Welt und Schöpfung,<br />

In: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Bd. 20, Freiburg<br />

1982, S. 85 ff.<br />

4) Kl.M. MEYER-ABICH, Kriterien tor das Verhalten des Menschen<br />

in der Natur, in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Bd.<br />

3, Freiburg 1982<br />

5) H. BOSSEL, Bürgerinitiativen entwerfen die Zukunft. Neue Leitbil·<br />

der - neue Werte - 30 Szenarien, Frankfurt 1978<br />

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