27.04.2014 Aufrufe

Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege

Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege

Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

stimmenden ökologischen Funktionen in ihrer Umwelt<br />

kaum noch Einfluß.<br />

Wir stellen fest, daß das reg ionale Aussterben einer Tierart<br />

innerhalb einer artenarmen Gruppe, zu der beispielsweise<br />

insgesamt 5 Arten gehören, eine andere evolutive Folge für<br />

den mitteleuropäischen Raum haben muß, als wenn aus der<br />

Gruppe der Stubenfliegen-Verwandten (Muscidae), von der<br />

in Mitteleuropa über 1000 Arten leben, oder wenn aus der<br />

Gruppe von Schnaken-Arten der Gattung Tipula mit ähnlich<br />

großer Artenzahl in der Palaearktis, eine einzelne Art ausfallen<br />

würde.<br />

11 Folgen des Ausfalls von Ökosystem-Teilen<br />

Zunächst sollen die ökosystemaren Effekte der Folgen des<br />

Ausfalls von Ökosystemen oder Ökosystem-Teilen aufgezeigt<br />

werden. Dafür bedarf es einiger Erläuterungen zu den<br />

ökosystemaren Effekten des Ausfalls von Arten in Nahrungsketten.<br />

Die verschiedenen Typen von Nahrungsbezie·<br />

hungen haben in diesem Zusammenhang eine unterschiedliche<br />

Bedeutung bei Ausfall von Einzel-Arten oder Artenkomplexen<br />

in Ökosystemen.<br />

11. 1 Folgen bei Störungen von Beute-Räuber-Beziehungen<br />

Eine wichtige Nahrungsbeziehung in Ökosystemen ist die<br />

innerhalb des Beute-Räuber-Komplexes. Die Beziehungen<br />

gehen von der Beute-Art aus, insofern, als die Beute-Art in<br />

einem Ökosystem zuerst vorhanden sein muß, bevor eine<br />

Räuberart eine Nahrungsbeziehung zu dieser Beute-Art aufnehmen<br />

kann. Daher auch die Formulierung „ Beute-Räuber­<br />

Beziehung" und nicht umgekehrt. Fällt die Beute-Tierart<br />

aus, so gerät die Räuber-Tierart in dem betreffenden Ökosystem<br />

in Gefahr, und zwar um so mehr, je spezialisierter die<br />

Beziehung der Räuber-Art zu einer bestimmten Beute-Art<br />

ist. Fällt aber eine Räuber-Art durch bestimmte Umwelteinwirkung<br />

in einem Ökosystem aus, bleibt die Beut e-Tierart in<br />

der Regel dem Ökosystem erh alten.<br />

Räuber-Arten haben meist eine etwas geringere Spezialisation<br />

an eine bestimmte Beute-Tierart und in der Regel auch<br />

an ein bestimmtes Ökosystem als die Beute-Tierart gegenüber<br />

einem Ökosystem-Typ. Dadurch kann bei Fehlen einer<br />

Beute-Tierart infolge regionalen Aussterbens die Räuber­<br />

Art bei geringerer Bindung an ein bestimmtes Ökosystem<br />

die feh lende Nahrung leichter durch Aufsuchen eines anderen<br />

Biotop-Typus ausgleichen.<br />

11.2 Folgen bei Störung von Wirt-Parasit-Beziehungen<br />

Voraussetzung für das Auftreten von Parasiten-Arten in einem<br />

Ökosystem ist das Vorkommen entsprechender Wirts·<br />

arten. Wirts-Tierarten können dagegen wohl ausnahmslos<br />

ohne Parasiten-Arten im selben Ökosystem dauerhaft existieren.<br />

Die Spezialisation der Parasiten-Arten auf bestimmte<br />

Wirts-Tierarten ist dagegen in der Regel groß, und zwar<br />

zunehmend von den Ektoparasiten in Richtung zu den endoparasitisch<br />

lebenden Arten. Monophag auf bestimmte<br />

Wirts-Tierarten spezialisierte Parasiten-Arten sterben regio·<br />

nai aus, wenn die Wirts-Tierart im Ökosystem ausfällt.<br />

Die Parasiten-Arten gleichen ihre größere Abhängigkeit von<br />

der Wirts-Tierart - im Vergleich zur Beutetier-Abhängigkeit<br />

einer Räuber-Art - durch bessere Ausbreitungs- (Dispersions-)<br />

und vielfach auch durch bessere Such· und Findestrategien<br />

(Koinzidenz-Strategien) gegenüber der Wirts-Tierart<br />

aus; außerdem haben sie meist eine höhere Reproduktionsrate.<br />

11.3 Folgen bei Störungen von Pflanze-Tier-Beziehungen<br />

Die Abhängigkeit von Tieren als heterot rophe Organismen<br />

vom Vorkommen der Pflanzen als autotrophen Organismen<br />

muß nicht besonders herausgestellt werden. Hier geht es<br />

mehr um die spezialisierte Abhängigkeit in diesen Beziehungsketten,<br />

bei denen nur jeweils einzelne Arten betroffen<br />

sind.<br />

Die Auffächerung der Nahrungsbeziehungen im Pflanze­<br />

Tier-Nahrungs-Komplex liegt im Durchschnitt in Mitteleuropa<br />

zwischen 1:20 und 1:300 und darüber hinaus. Das bedeutet,<br />

daß in der Regel die Pflanzenarten als Nahrungssubstrat-Lieferant<br />

für ein Vielfaches an pf lanzenverzehrenden<br />

Tierarten dienen. in einigen Fällen geht diese Auffächerung<br />

noch über ein Verhältnis von 1 :300 hinaus. Wenn beispielsweise<br />

Eichen als Nahrungsbäume in Mitteleuropa in folge<br />

von Luftverunreinigungen ausfallen würden, dann wären<br />

etwa 500 spezialisierte Tierarten betroffen und wü rden größ·<br />

tenteils ausfallen. Die an den beiden häufigsten Eichenarten<br />

Mitteleuropas lebenden Tierarten könnten größtenteils<br />

nicht auf die immergrünen Eichenarten des Mittelmeeres<br />

als „ Ersatz-Wirtspflanzen" übergehen. Insgesamt leben in<br />

Mitteleuropa sogar 1000 phytophage Tierarten an Eichen,<br />

aber die Hälfte kann auch von Pflanzenteilen anderer Laubbau<br />

m-Arten leben, ist also nicht nur auf Eiche spezialisiert.<br />

Es gibt jedenfalls eine Vertausendfachung der Folgewirkung,<br />

wenn eine Produzentenart - wie die Eiche - ganz<br />

aus einem Ökosystem verschwindet.<br />

Von den spezialisierten Pflanze-Tier-Beziehungen innerhalb<br />

eines Ökosystems - es gibt auch umgekehrt Tier-Pf/anze­<br />

Bezlehungen - gehen auf Ökosysteme viele Wirkungen<br />

aus. Etwa 35- 40% der Insekten-Arten Mitteleuropas gehören<br />

zu den pflanzenverzehrenden Arten, also zum phytophagen<br />

Lebensformtyp. Von dieser Anzahl haben ca. 50% der<br />

Arten spezialisierte Beziehungen zu bestimmten Wirtspflanzenarten<br />

bzw. Gruppen von Wirtspflanzenarten. Wenn eine<br />

Wirtspflanzenart in einem Ökosystem ausfällt, zieht dieses<br />

Ereig nis in der Regel den Ausfall von 10-25 Tierarten, die<br />

auf diese Wirtspflanzenart spezial isiert sind, mit sich.<br />

Die Ausfallgefahr von phytophagen Tierarten infolge Ausfalls<br />

einer Wirtspflanzenart in einem Ökosystem ist um so<br />

größer, je weniger Pflanzenarten (vorwiegend aus der näheren<br />

Verwandtschaft der ausgestorbenen Wi rtspflanzenart)<br />

noch in einem Ökosystem vorhanden sind, da eventuell als<br />

Nahrungs-Ersatz vorgenommene Übergänge von Tierarten<br />

auf andere Pflanzenarten zur Kompensation der ausgefalie·<br />

nen Nahrungsarten möglich sind. Die Gefährdung einer phy·<br />

tophagen Tierart wächst in der Regel nicht nur mit der Verringerung<br />

der Abundanz einer bestimmten Wirtspflanzen­<br />

Art, sondern meist auch mit der Verringerung der gesamten<br />

Artenzahl der Pflanzen derselben Gattung oder Familie, aus<br />

der die an sich bevorzugte Wirtspflanzen-Art stammt. Denn<br />

zahlreiche oligophage Tierarten können ihre Nahrungspflanzen-Arten<br />

in derselben Gattung oder Familie austauschen.<br />

Das gilt nicht für monophag lebende pflanzenverzehrende<br />

(phytophage) Tierarten. Ei ne Gefahr bei Aussterben<br />

bestimmter Pflanzenarten besteht dagegen für euryphage<br />

oder polyphage Tierarten kaum, da diese einen Ober die Familiengrenzen<br />

ihrer Wirtspflanzen hinausgehenden Nahrungsspielraum<br />

besitzen. Die Ökosysteme verarmen also in<br />

den letzten Jahrzehnten vornehmlich durch Ausfall der monophagen<br />

oder oligophagen Tier-Arten unter relat iver Zunahme<br />

der polyphagen Tier-Arten.<br />

Die Spezialisation bestimmter phytophager Tierarten auf<br />

bestimmte Wirtspflanzenarten ist um so größer, je höher die<br />

Wirtspflanzen - phylogenetisch gesehen - einzuordnen<br />

sind. Die hochentwickelten Pflanzen-Familien haben mehr<br />

Abwehrsysteme - Hormonsysteme, Enzymsysteme, phytogene<br />

Insektizide - entwickelt, um sich gegen phytophage<br />

584

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!