Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege
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haupt möglich, sollte die bereits bestehende Isolation von<br />
Populationen in Mitteleuropa durch vernetzende Strukturen<br />
gemildert werden.<br />
Für die mitteleuropäischen Festlandsverhältnisse sind im<br />
wesentlichen 3 Ausbreitungsmechanismen denkbar:<br />
Ausbreitung über den Luftweg, z.B. bei Vögeln, vielen<br />
flugfähigen Insekten und bei Spinnen.<br />
- Ausbreitung entlang linearer Landschaftselemente<br />
durch kurzzeitige Wanderung einzelner Individuen. Dieser<br />
Mechanismus ist für viele Säugetiere und Insekten<br />
wahrscheinlich.<br />
Neugründungen örtlicher Populationen durch Tiere, die<br />
in geringer Siedlungsdichte über längere Zeiträume in<br />
ungünstigen Lebensräumen ausharren.<br />
Arten des ersten Typs sind durch Landschaftsveränderungen<br />
außerhalb ihrer Lebensräume i.d.R. nicht direkt betroffen.<br />
Indirekte kleinklimatische Veränderungen oder Einsatz<br />
von Chemikalien auf Nutzflächen können jedoch auch hier<br />
isolationsfördernd wirken, ebenso wie das Verschwinden<br />
von Rastplätzen einschließlich lokaler Nahrungsquellen<br />
zwischen den Lebensräumen.<br />
Für Arten des zweiten Types ist die Sicherung, Optimierung<br />
und vor allem Neuanlage durchgängiger Strukturen unerläßlich,<br />
wobei zu beachten ist, daß die Möglichkeiten einer<br />
sinnvolleri Biotopneuschaffung sehr eingeschränkt sind<br />
(BLAB 1985). Relativ günstige Voraussetzungen bestehen<br />
z. B. bei der Anlage von Hecken, Rainen oder von Brachstreifen<br />
an Fließgewässern sowie in Abgrabungsgebieten<br />
(PLACHTER 1983b, 1985). Wahrscheinlich existiert aber<br />
mindestens ein weiterer Mechanismus der Besiedlung neu<br />
entstandener Lebensräume bzw. frei gewordener ökologischer<br />
Nischen, der in der bisherigen Naturschutzplanung<br />
kaum Berücksichtigung gefunden hat. Neu entstandene Lebensräume<br />
werden häufig relativ schnell von wenig vagilen<br />
Tierarten besiedelt, deren nächstgelegene fortpflanzungsfähige<br />
Population weit entfernt zu sein scheint. Beispiele<br />
sind die Besiedlung von neu entstandenen Stillgewässern<br />
in ausgeräumten Landschaften durch Amphibien (Kreuz-,<br />
Wechselkröte, Gelbbauchunke etc.) oder von Brachflächen<br />
durch wenig flugfähige epigäische Arthropoden. In solchen<br />
Fällen ist die Wahrscheinlichkeit, daß mehrere fortpflanzungsfähige<br />
Individuen mehr oder weniger gleichzeitig oder<br />
ein befruchtetes Weibchen direkt aus der nächstgelegenen<br />
Population entlang linearer Strukturen den Lebensraum erreichen,<br />
relativ gering. Wahrscheinlicher dürfte sein, daß<br />
bei diesen Arten der Populationsdruck in optimalen Lebensräumen<br />
ein mehr oder weniger ungerichtetes Abwandern eines<br />
Teiles derTiere bedingt, die in an sich wenig geeigneten<br />
Biotopen als Individuen oder kleine Populationen mit geringer<br />
Fortpflanzungsrate eine gewisse Zeit überleben. Sie<br />
können einen neu entstandenen Lebensraum Ober geringe<br />
Entfernungen sehr schnell besiedeln. Es ~pricht einiges dafür,<br />
daß eine ganze Reihe von Tierarten auf diesen Ausbreitungsmechanismus<br />
zurückgreifen kann. Die Anlage linearer<br />
Landschaftselemente bei scharfer Trennung von Naturschutz-<br />
und Nutzflächen ist für diese aber dann mitunter nur<br />
von geringer Bedeutung. Vielmehr wäre darauf zu achten,<br />
daß die Landschaft als Ganzes in einem Zustand bleibt, der<br />
das Überleben einzelner Individuen oder kleiner Populationen<br />
auch zwischen den für Naturschutzzwecke reservierten<br />
Flächen weiterhin ermöglicht.<br />
4 Konsequenzen für Flächensicherungskonzepte<br />
4.1 Voraussetzungen eines nachhaltigen Tierartenschutzes<br />
Die in jüngster Zeit vorgelegten Zielvorstellungen gelangen<br />
in guter Übereinstimmung zu dem Ergebnis, daß zwischen 8<br />
und 12% der Landesfläche für Naturschutzzwecke zu<br />
sichern sind, um dem Auftrag des Bundesnaturschutzgesetzes<br />
nachkommen zu können (<strong>Deutscher</strong> <strong>Rat</strong> für <strong>Landespflege</strong><br />
1983, HEYDEMANN 1983). Unter Berücksichtigung der<br />
obigen Tatsachen müssen diese Zahlen näher interpretiert<br />
werden:<br />
- Sofern Flächenschutzkonzepte, zumindest implizit, von<br />
einer strikten Trennung zwischen Naturschutzflächen<br />
einerseits und Nutzflächen andererseits ausgehen, wobei<br />
auf letzteren eine weitere Nutzungsintensivierung im<br />
bisherigen Sinn zugelassen wird, muß bezweifelt werden,<br />
ob selbst ein Flächenanteil von durchschnittlich<br />
10% eine dauerhafte Bestandssicherung aller heimischen<br />
Tierarten zuläßt.<br />
- Wie gezeigt wurde, ist die für die Sicherung von Tierpopulationen<br />
notwendige absolute Flächengröße abhängig<br />
von der Intensität der umgebenden Landnutzung.<br />
Der Anteil von Flächen, der vorrangig für Naturschutzzwecke<br />
zu reservieren ist, ist somit abhängig von der allgemeinen<br />
Nutzungsintensität unserer Landschaft. Bei<br />
Intensivierung steigt er, bei Wiedereinführung extensiver<br />
Bewirtschaftungsformen auf Teilflächen kann er sinken.<br />
Planungskonzepte für Schutzgebiete müssen deshalb<br />
die aktuelle Landnutzungssituation auch außerhalb<br />
der Schutzgebiete mit berücksichtigen.<br />
- Viele Tierarten zeichnen sich durch hohen Raumbedarf<br />
in Verbindung mit dem Anspruch auf sehr spezifische<br />
Lebensraumstrukturen aus. Letztere wurden durch bestimmte<br />
extensive oder sehr spezifische Landnutzungsformen<br />
erhalten.<br />
Sollen alle Tierarten auf für den Naturschutz reservierten<br />
Schutzgebietsflächen in biologisch sinnvoller Weise<br />
erhalten werden, so. sind dort diese Landnutzungsformen<br />
großflächig zu imitieren. Dabei kann es nicht um<br />
das Mähen einzelner Streuwiesen oder das Entbuschen<br />
einzelner Magerrasen gehen; das Problem ist wesentlich<br />
komplexer und auf wesentlich größere Flächen zu beziehen.<br />
Eine großflächige Regeneration der natürlichen Lebensräume<br />
dieser Arten, in denen auf Pflegeeingriffe<br />
verzichtet werden könnte, scheidet in absehbarer Zeit<br />
aus. Betroffen sind alle Tierarten, die in klimaxnahen<br />
Sukzessionsstadien der Vegetation nicht leben können.<br />
Da die natürliche Dynamik vieler Ökosysteme, verursacht<br />
z.B. durch Überschwemmungen, Windbruch, Feuer,<br />
Erdrutsch oder Schädlingsbefall, nicht nur in der<br />
Landschaft im allgemeinen, sondern auch in den<br />
Schutzgebieten weitgehend ausgeschaltet bleiben muß,<br />
können diese Tierarten nur dadurch erhalten bleiben,<br />
daß der Mensch diese Dynamik durch Eingriffe simuliert.<br />
Die Ausweisung statischer Schutzgebiete kann natürliche<br />
Veränderungen in Biozönosen nur ungenügend berücksichtigen.<br />
Populationen sind ebenso wenig wie Lebensgemeinschaften<br />
als Ganzes statische Funktionseinheiten.<br />
Sie unterliegen vielmehr meist von Natur aus<br />
drastischen Bestandsschwankungen.<br />
Daß selbst relativ weit verbreitete Arten mitunter Jahr<br />
für Jahr ihr Verbreitungsareal in Verbindung mit einer<br />
grundlegenden Umlagerung der Zentren höchster Dichte<br />
großräumig verändern, zeigt das Beispiel des Stachelbeerspanners<br />
in Großbritannien (Abb. 6, siehe folgende<br />
Seite).<br />
Für viele Arten ist ein häufiges Aussterben lokaler Populationen<br />
bei rascher Besiedlung neuer Lebensräume typisch.<br />
Längerfristig angelegte Schutzstrategien dürfen<br />
diesen Aspekt nicht übersehen, da selbst große Populationen<br />
durch Ereignisse, die der Mensch nur ungenügend<br />
beeinflussen kann (z.B. Krankheiten, Einwandern<br />
von Konkurrenten) innerhalb relativ kurzer Zeiträume ver-<br />
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