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Warum Artenschutz? - Deutscher Rat für Landespflege

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) „Sekundär seltene" Arten; diese sind in der Regel aufgrund<br />

anthropogener Eingriffe oder Veränderungen selten<br />

geworden und waren früher wenigstens in ihrem Vorzugs-Biotop<br />

häufig.<br />

c) „Primär häufige" Arten; diese treten auch heute noch mit<br />

stets hoher Populationsdichte in ihren Vorzugs-Biotopen<br />

auf.<br />

d) „Sekundär häufige" Arten; die Populationsdichte dieser<br />

Arten steigt infolge anthropogener Veränderungen in<br />

Ökosystemen an, oft auch durch Ausfall von ursprünglich<br />

konkurrierenden Arten bewirkt.<br />

9 Folgen des Artenausfalls in artenarmen Gruppen<br />

Wichtig für die Abschätzung der genetischen oder evolutiven<br />

Folgen des Ausfalls von Tierarten ist die Gesamtartenzahl,<br />

mit der eine taxonomische Gruppe in einer bestimmten<br />

Region vertreten ist. Wir kennen beispielsweise 28 Arten<br />

von Stachelhäutern (Echinodermata) in der Bundesrepublik<br />

Deutschland bzw. in den angrenzenden Teilen der Nord- und<br />

Ostsee (diese Tiergruppe lebt nur marin). Das sind 0,5% des<br />

Weltanteils dieser Gruppe, die global 6000 Arten aufweist.<br />

Wenn wir die Anteile der Stachelhäuter zur Artenzahl der<br />

Gesamtfauna der Bundesrepublik in Beziehung setzen, ergibt<br />

sich ein Prozentsatz von nur 0,07 % der Artenzahl. Stachelhäuter<br />

kommen - bis auf wenige Arten in der Ostsee<br />

- nur in der Nordsee vor. Wenn 28 Arten von Stachelhäutern<br />

in der Nordsee ausfallen, ist das der vollständige Artenbestand<br />

eines gesamten Tierstamms in einem Großraum,<br />

aber nur 0,05% der Arten für die Bundesrepublik Deutschland.<br />

An diesem Beispiel wird das Phänomen deutlich, daß<br />

eine kleine absolute Anzahl an Arten, die verlorengeht, mit<br />

einem hohen Prozentsatz des Artenverlustes Innerhalb einer<br />

Tiergruppe verbunden sein kann. Die evolutiven Folgen<br />

für die phylogenetische Weiterentwicklung eines solchen<br />

Tierstammes können dabei erheblich sein.<br />

Als weiteres Beispiel sei die Gruppe der Manteltiere (Tunicata)<br />

erwähnt. Sie stellt die unmittelbare Vorgängergruppe<br />

der Wirbeltiere dar. 13 Arten gibt es davon in Nord- und Ostsee,<br />

2000 Arten auf der Welt (vgl. NOWAK et al. 1981). Auf<br />

diese Tiergruppe entfällt in Mitteleuropa nur ein Anteil (von<br />

der gesamten mitteleuropäischen Fauna) von 0,03%. Wenn<br />

13 Tunicaten-Arten ausfallen würden - das könnte bald<br />

aufgrund der fortschreitenden Verschmutzung der Nordsee<br />

bei dieser ökologisch empfindlichen Tiergruppe der Fall<br />

sein - wäre eine relativ wichtige Schlüsselgruppe in der<br />

Entwicklungsreihe zu den Wirbeltieren und zum Menschen<br />

regional ausgerottet.<br />

Tunicaten haben keine Augen, Tunicaten haben kein umfangreiches<br />

Gehirn. Ein Nicht-Biologe weiß beim Anblick<br />

mancher Tunicaten nicht genau, ob es sich dabei um einen<br />

Schlauch von Algen oder um einen im Absterben begriffenen<br />

Schwamm handeln könnte. Wo soll eine Tunicaten-Art<br />

in bezug auf die ästhetisch-ethische Argumentation eingestuft<br />

werden? Wo sollen Tunicaten in bezug auf „Seltenheit"<br />

im Ökosystem-Komplex der Nordsee eingestuft wer·<br />

den, wo sie doch in den meisten Fällen nur lokal vorkommen,<br />

aber dann möglicherweise häufig sind? Wo werden Tunicaten<br />

in bezug auf das Funktionieren der Nordsee eingestuft?<br />

Die zentrale evolutive Bedeutung der Tunicaten liegt in ihrem<br />

bio-historisch hohen Stellenwert. Wie wertvoll ist damit<br />

diese Gruppe im Hinblick auf den <strong>Artenschutz</strong>? Mit Sicherheit<br />

kann auf die Tunicaten im Ökosystem - was ihre Funktion<br />

als Filtrierer der Strudler anbelangt - in den meisten<br />

Nordsee-Biotopen verzichtet werden, denn die Populationsdichte<br />

der meisten Manteltier-Arten ist nicht groß. Trotz großer<br />

evolutions-biologischer Folgen ist für die gängige <strong>Artenschutz</strong>-Argumentation<br />

bei Ausfall einer solchen Tiergruppe<br />

nur wenig an für die Öffentlichkeit wirksamen Argumenten<br />

zu formulieren.<br />

10 Folgen des regionalen und totalen Aussterbens<br />

einer Art<br />

Wichtig ist für die <strong>Artenschutz</strong>-Diskussion die Unterscheidung<br />

zwischen regionalem und totalem Aussterben einer<br />

Art. Für den Fortgang der Evolution ist das totale, also glo·<br />

bale Aussterben einer Art ausschlaggebend. Das regionale<br />

Aussterben ist für das Funktionieren der Ökosysteme, also<br />

den sog. „Naturhaushalt" wiederum bedeutsamer. Das<br />

„ Seitenwerden" einer vorher häufigen Art, also die Verringerung<br />

der Populationsdichte einer Art, hat unter anderem<br />

Folgen für die ökologische Adaptationsfähigkeit der Art an<br />

eine sich verändernde Umwelt.<br />

Die Verringerung der Populationsdichte einer Art bewirkt<br />

auch eine Verringerung der lnnerartlichen genetischen Vielfalt<br />

einer Population. Die Verringerung einer Vielfalt an Genotypen<br />

innerhalb einer Population bewirkt eine Verringerung<br />

des ökologischen Anpassungsvermögens und der<br />

Selbsterhaltungsfähigkeit einer Art in einem bestimmten<br />

Lebensraum. Außerdem leistet eine Art, die eine Verringe·<br />

rung der Populationsdichte erfahren hat, wesentlich weni·<br />

ger für den Naturh aushalt, ist also weniger wirksam innerhalb<br />

ihres Ökosystems.<br />

Es hat den Anschein, daß das totale Aussterben von Arten<br />

im Vergleich zum regionalen Aussterben real in viel größe·<br />

rem Umfang geschieht, als wir dies zur Zeit registrieren können,<br />

da die Phänomene des globalen Aussterbens nur für<br />

die terrestrischen Wirbeltier-Gruppen genauer untersucht<br />

werden konnten. Die Mehrheit der Arten wird wahrscheinlich<br />

den globalen Arten-Tod sterben, ohne daß sie je von der<br />

Wissenschaft gekannt wurden, und ohne daß sie vorher in<br />

ein Artenkataster der existierenden Tiere und Pflanzen aufgenommen<br />

wurden.<br />

Wir sind in der Lage, nur für einige Wirbeltier-Gruppen -<br />

und hier auch nur beispielhaft - die ökologischen Folgen<br />

des regionalen Aussterbens herauszustellen, die bei dem<br />

Aussterben von Arten für Natur und Umwelt bestehen. Diese<br />

Beispiele müßten aber genügen, um die Folgerungen daraus<br />

auf die übrigen Tiergruppen mit ähnlicher Ökologie zu<br />

übertragen. Wird eine solche Übertragung abgeschätzter<br />

Folgen des Ausfalls von Arten In die Praxis der täglichen<br />

Verwaltungsarbeit oder Politik-Entscheidung nicht übernommen,<br />

besteht die Gefahr, daß <strong>Artenschutz</strong>-Hilfsprogramme<br />

zu lange jeweils auf einen zu geringen Anteil der<br />

reell gefährdeten Tierarten beschränkt bleiben. Das Prinzip<br />

der Bio-Indikation - als Prinzip der Übertragung eines Indikator-Phänomens<br />

auf viele andere Bereiche und angewen·<br />

det für die Erkennung von Artengefährdung und Folgenab·<br />

schätzung - verlangt indessen gerade, daß die anerkannt<br />

möglichen Folgen des Ausfalls einer Art auf eine bestimmte<br />

Gesamtheit von Arten oder auf einen Teilausschnitt eines<br />

Ökosystems rockgeschlossen werden.<br />

Das regionale Aussterben einer Art ist im Vergleich zum globalen<br />

Aussterben von Arten in den ökosystemaren Folgen<br />

gleichartig. Ökosystemar gesehen ist ebenfalls eine Art, die<br />

vom Status der Eudominanz (also des durch die Individuendichte<br />

besonders hervorragenden Auftretens in einem Öko·<br />

system) herabgleitet auf den Status der Subrezedenz (also<br />

auf den Status einer besonders niedrigen Populationsdichte),<br />

bereits für den Stoffkreislauf, Energiefluß und die Konkurrenzvorgänge<br />

in einem Ökosystem belanglos geworden.<br />

Sie hat also unter diesen Umständen auf den Ablauf der be-<br />

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