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Sprache und Stil 61<br />
3.2.9 Schein oder Anschein – das ist hier die Frage<br />
Dass sogar manche Journalisten/innen sich bei elementaren Problemfällen der<br />
deutschen Sprache nicht auskennen, haben wir bereits in Unterabschnitt<br />
3.2.5 gezeigt. Hier folgt als „Aufmacher“ (Begriff aus der Journalistensprache)<br />
dieses Unterabschnittes ein Beispiel aus der renommierten Wochenzeitung<br />
Die Zeit. Dort war in einer von Martin Spiewak verfassten Würdigung der<br />
Amtszeit der zurückgetretenen Bildungsministerin Annette Schavan u. a. zu<br />
lesen, diese habe „…scheinbar alles [gehabt], was eine Fachpolitikerin für<br />
den Erfolg braucht…“ (Die Zeit, Nr. 8 vom 14.2.2013, S. 39).<br />
Der Autor hat damit zu erkennen gegeben, den Bedeutungsunterschied zwischen<br />
„anscheinend“ und „scheinbar“ wie viele seiner Mitmenschen – bei<br />
weitem nicht allein Studierende – offenkundig nicht zu kennen; manche/r gar<br />
scheint (!) gar nicht zu wissen, dass es einen solchen gibt. Nähme man Spiewak<br />
beim Wort, dann hätte er der ehemaligen Bundesministerin Schavan attestiert,<br />
völlig ungeeignet für ihr Amt gewesen zu sein – gemeint aber hat er<br />
das Gegenteil.<br />
„Anscheinend“ drückt die Vermutung aus, dass sich etwas tatsächlich so verhält,<br />
wie es zu sein scheint. „Scheinbar“ dagegen besagt, dass etwas nur dem<br />
äußeren Eindruck nach so ist, sich real aber (eben) nicht so verhält. Zum besseren<br />
Verständnis seien hier einige Synonyme (sinnverwandte Wörter) genannt:<br />
„anscheinend“ lässt sich durch „allem Anschein nach“, „vermutlich“<br />
oder „möglicherweise“ ersetzen; für „scheinbar“ kann man auch „nur zum<br />
Schein“, „angeblich“, „vorgeblich“ oder „in Wirklichkeit nicht“ sagen.<br />
Wem dies zu kompliziert scheint (!), der gehe einfach davon aus, dass zumeist<br />
„anscheinend“ richtig und „scheinbar“ nur in seltenen Fällen zutreffend<br />
ist. Diese Regel hätte – um ein abschließendes Beispiel zu geben – auch ein<br />
Hochschullehrer der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften beherzigen<br />
sollen, der in der Danksagung seiner bei einem Fachverlag für Soziale Arbeit<br />
publizierten Dissertation u. a. folgendes schreibt: „So sei an vorderster Stelle<br />
Prof. Dr. … gedankt für seine wertvolle Kritik und scheinbar unerschöpfliche